Süddeutsche Zeitung

Weißes Hemd:Mann braucht nicht mehr

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Dreiviertelhosen? Oder gar das Malibu-Shirt? Es gibt eine Möglichkeit, als Mann auch bei Rekordhitze seine Würde zu wahren. Ein Lob auf das weiße Hemd.

Von Christian Mayer

Die Männer und der Sommer, das ist eine durchaus komplizierte Beziehung. Beobachten kann man das in diesen Tagen bei den Musik- und Opernfestivals, die in München, Salzburg oder Bayreuth stattfinden, aber auch bei Hochzeiten, Landtagsempfängen und gehobenen Terrassenevents: Schon vor Beginn der Veranstaltung brennt die späte Nachmittagssonne gnadenlos auf die Herren in ihren dunklen Anzügen, selbst im Schatten dampfen sie bei 32 Grad vor sich hin, das Programmheft in der einen und den schon viel zu warmen Prosecco in der anderen Hand.

Wie verschafft man sich etwas Luft, unter solchen Umständen? Und wie bewahrt man ein wenig Haltung, trotz der modischen Hitzedelle, bei der sehr viele Menschen komplett auf modische Mindeststandards pfeifen und lieber gleich in Dreiviertelhosen, Malibu-Shirt und Sandalen zur Premiere erscheinen, selbst wenn, wie Ende Juni bei der Eröffnung des Münchner Filmfests, auf der Einladungskarte ein dezenter Hinweis ("Dresscode: Smoking") steht? Ganz einfach: Das weiße Hemd geht immer, zu jeder Jahreszeit, aber besonders in Zeiten, in denen man den Klimawandel am eigenen Leib zu spüren glaubt und vor lauter Transpirationsangst in einer Art Bewegungsstarre verharrt.

Karl Lagerfeld hätte das weiße Hemd gerne erfunden: "Alles andere kommt danach."

Wohin aber mit dem Sakko, wenn man beispielsweise auf dem Vorplatz des Bregenzer Festspielgeländes steht, in freudiger Erwartung einer mehrstündigen Aufführung unter freiem Himmel? Einfach die Jacke seitlich unter den Arm klemmen, vielleicht kommt sie ja später am Abend noch zum Einsatz, wenn die Sonne im Bodensee versunken ist - bis dahin tut das weiße Hemd seinen Dienst am Mann.

Im Grunde gibt es kein reduzierteres, stilvolleres und schmeichelhafteres Kleidungsstück für den männlichen Oberkörper. Das weiße Hemd passt zu jedem Anlass; es lässt sich zur Anzughose genauso kombinieren wie zu Shorts, allerdings nur dann, wenn zwischen Haut und Hemd noch ein paar Zentimeter Platz sind, um sich frei bewegen zu können. Fast schon grenzwertig eng tailliert war die Sonderanfertigung von Strenesse, die Bundestrainer Joachim Löw erstmals bei der Europameisterschaft 2008 der Öffentlichkeit präsentierte. Auf der anderen Seite des Spektrums sollte man den Eindruck vermeiden, dass man erst noch in das Kleidungsstück hineinwachsen sollte oder nach Art von Donald Trump alles zwei Nummern zu groß trägt. Genau in der goldenen Mitte zwischen Slim-Fit-Fixierung und Gemütlichkeitsanspruch sollte das möglichst hochwertige und auch an der Knopfleiste sauber genähte Hemd beschaffen sein, des Mannes letzte Rettung in Zeiten, in denen vieles erlaubt, aber nichts verpflichtend ist. "Semi Slim Fit" heißt der propagierte Schnitt bei vielen Marken.

Karl Lagerfeld hat es mal auf den Punkt gebracht: "Wenn Sie von mir wissen wollen, was ich mir wünschte, entworfen zu haben, wäre es das weiße Hemd. Ein Hemd ist der Ausgangspunkt von allem. Alles andere kommt danach." Diese Aussage würde wohl auch der spanische Sänger Julio Iglesias unterschreiben. Das Bild des Latin-Popstars und Serienliebhabers wäre nicht komplett ohne die Strahlkraft seiner unwirklich schimmernden Zähne und der makellosen Hemden, die früher bei jeder Tournee in dutzendfacher Ausführung bereitlagen - Julio Iglesias, der blütenreine Schwerenöter, schätzte es sehr, vor jedem Auftritt ein noch nie getragenes Exemplar aus der Verpackung zu reißen. Bei Männern wie ihm kontrastiert die Nichtfarbe Weiß mit einer mit Fleiß erworbenen Dauerbräune, die früher mal als schick galt und von Tennislehrern und Großstadtstrizzis meist zwölf Monate im Jahr aufrechterhalten wurde.

Im Grunde ist das weiße Hemd die Grundierung des Mannes. Eine Basisausrüstung, die in der aktuellsten Variante sogar noch ein Stück reduzierter ausfällt: Der Stehkragen macht gerade eine ähnlich steile Karriere wie das E-Bike. Man sollte nur keine halben Sachen machen, weshalb man Kurzarm-Varianten mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte. Und was ist so ein Hemd schon wert, wenn man nicht die Ärmel hochkrempeln kann, eine zur Metapher gewordene Tätigkeit, die für Lebensfreude und Tatkraft steht?

Das weiße Hemd ist ein erfreulich flexibles Kleidungsstück für Situationen, in denen man sowohl seriös als auch lässig wirken will - oder einfach auf Nummer sicher gehen möchte. All das schätzt auch George Clooney. Der Hollywood-Schauspieler vertraut bei wichtigen Auftritten auf den Klassiker, im dem schon Humphrey Bogart und John F. Kennedy ihre Männlichkeit zur Schau stellten: Egal ob Clooney mit Barack Obama eine Spritztour mit dem Motorboot auf dem Comer See unternimmt, beim Filmfest in Cannes einläuft oder Werbung für Luxusuhren macht, das weiße Hemd signalisiert verlässliche Schnörkellosigkeit. Wie der Schauspieler das macht, bei Wind und Blitzlichtgewitter knitterfrei, aber keineswegs steif zu wirken? Es bleibt sein Geheimnis.

In der Serie "Mad Men" wird es immer gefährlich, wenn Don Draper sein Sakko auszieht

Was die Werbewirkung angeht, gibt es ohnehin kaum etwas Besseres. Die Serie "Mad Men" wäre unvorstellbar ohne die anfangs immer noch korrekt gestriegelten Kreativen der New Yorker Werbeagentur, bei denen es immer dann gefährlich zu werden droht, wenn der erste sein Sakko auszieht. Don Draper, die Hauptfigur dieser fein beobachteten Gesellschaftsserie über die Sechzigerjahre, mag als Mann ein verhaltensgestörtes Raubtier sein; stilistisch bleibt er mit sich selbst im Reinen, ein Vorbild an Selbstsicherheit, was sein Äußeres angeht. Wie das geht? Indem man auf sein weißes Hemd vertraut. In allen Lebenslagen.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2019
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