Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Trag's mit Fassung

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Frischer Wind in der ersten Reihe: Mit dem neuen Personal zieht auch ein neuer Stil ins deutsche Kabinett ein. Was sagt das Modebewusstsein über die frisch vereidigten Amtsträger aus?

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Stil als beste Verteidigung: Christine Lambrecht

Deutschland, bitte keine Leserbriefe schreiben, Mode ist unwichtig, es geht natürlich nur um Inhalte! Aber: Die Verpackung sagt trotzdem mehr als Worte. Der Tag der Regierungsbildung am Mittwoch muss deswegen unbedingt als modisches Highlight gefeiert werden, bitteschön: Annalena Baerbock sah großartig aus in ihrem plissierten Seidenkleid und ihren Pumps - fertig zur Abreise aufs internationale Parkett! Familienministerin Anne Spiegel ist objektiv so schön, dass sie sich im Schloss Bellevue sogar den Underdressing-Move "Hosenanzug in derbe Boots stopfen" leisten kann. Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger wirkte superelegant in schwarzem Kostüm und modernen, spitzen Kitten-Heel-Stiefeln. Und an der knallroten Handtasche der stahlblau gekleideten neuen Innenministerin Nancy Faeser baumelte ein ebenso knallrotes Lederherz. Der Coolness-Preis der Jury geht aber an Christine Lambrecht: die neue Verteidigungsministerin kam in kurzem Kleid und stiefelte auf sehr, sehr hohen Blockabsatzstiefeln erst zum Bundespräsidenten und dann in den Bendlerblock. Ihre Fingernägel sind übrigens immer ganz schön lang und perfekt manikürt, ihre Locken wippen beim Laufen. Die neue modische Insignie der Macht ist: der eigene Stil. Die Zeit des praktischen Haarhelms ist vorbei, ebenso der bunte Schal oder die sachliche Kette als einzige Abgrenzung zu den Männern. Eine mächtige Frau muss natürlich nicht modisch auffallen. Aber sie kann. Das hat keine Auswirkungen auf ihre Hirnleistung, nur noch mal zur Erinnerung.

Krawatte des guten Willens: Robert Habeck

Man kann es nicht anders nennen, Robert Habeck ist ein stattlicher Mann, dem selbst Koalitionsverhandlungen nicht viel von seiner kerndlgfutterten Ausstrahlung nehmen. Anders gesagt: Der wäre auch ein gutes Zwieback-Kind gewesen! Zu einem Typ wie aus der Pils-Werbung gehört natürlich, dass er keine Krawatte trägt. Habeck ist ja exakt so angezogen wie dieser eine Lehrer, den es überall gab und den man tendenziell mochte, weil er nicht pedantisch war. Der kam immer im guten, abgewetzten Sakko, aber nie mit Krawatte oder Bundfalte, weil das für ihn Abzeichen des verkrusteten Vätersystems bzw. des Tätervolks (im Fall des Geschichtslehrers) waren. Botschaft: Meine Tür steht euch immer offen, mein Hemdkragen aber auch! Dass Robert Habeck nun zu seiner Konfirmation, pardon, zu seiner Ernennung als Minister doch mal einen Binder (er sagt ja hundertpro "Binder") trägt, kann vor dem Hintergrund seiner grundsätzlichen Krawattenleugnung also durchaus als Verneigung vor der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verstanden werden. Es ist aber auch eine innerparteiliche Positionierung. Denn Habeck ist eben nicht wie Joschka Fischer es einst mit seiner aggressiven Turnschuh-Symbolik andeutete, ein Verächtlichmacher und Unruhestifter. Er hat andererseits auch nicht Cem Özdemirs zeitgeistige Chuzpe, einfach mit dem Fahrrad ins Schloss Bellevue zu fahren und die Ministerurkunde auf den Gepäckträger zu klemmen. Nein, Robert Habeck ist ein Mann der Mitte und kompromissbereit, er geht auf die FDP genauso zu wie auf die Krawatte - widerwillig, aber im sicheren Wissen, dass er sogar damit irgendwie gut aussehen wird.

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