Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Obenrum seltsam

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Bei den diesjährigen Grammy Awards konnte man viel schöne Musik hören, es gab aber auch für Gelegenheit für dezentes Kopfschütteln - Miley Cyrus und Maluma sei Dank.

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Mehr Volumen

Immer ein modisches Highlight: die Grammys, wo nicht unbedingt die beste, aber die erfolgreichste Musik ausgezeichnet wird. Natürlich war auch der jammernde Radio-Ohrwurm "Flowers" von Miley Cyrus dabei, der im Volksmund tatsächlich nicht als Beleidigte-Leberwurst-, sondern als Selbstliebe-Hymne gehandelt wird. Apropos früher: Die Preisträgerin hatte gleich fünf Outfits mit dem Flair guter alter Zeiten im Gepäck.

Ein Spitzenanzug zum Beispiel sollte Cher ehren - das Bühnenoutfit hingegen war ein Entwurf des Designers Bob Mackie aus dem Jahr 2002. Das geht völlig in Ordnung, sollte der Auftritt doch eine Hommage an Tina Turner sein, deren Markenzeichen das hüpfende Fransen-Minikleid war. Aber jetzt wird es kompliziert, denn das Nest, das wir auf Mileys Kopf sehen, ist nicht etwa eine verunglückte Tina-Turner-Kopie, wir hoffen es zumindest. Sondern, so bewerten es Online-Stilexperten, eine andere Hommage, und zwar an Cyrus' Patentante Dolly Parton, der folgendes Frisuren-Bonmot zugeschrieben wird: "The higher the hair, the closer to God." Das Internet also explodierte vor allem wegen dieser Haare, die mit jedem Outfitwechsel ein bisschen mehr in Richtung Achtziger-Jahre-Zuckerwatte gingen, und der Stylist erklärte stolz, welches Haarspray er verwendet hatte. Die Ersten unkten schon das Comeback der auftoupierten Haaransätze herbei. Wir unken: Das wird nicht passieren. Weil man an diesem Abend sah, dass man für diese Frisur schon ein paar mehr Falten im Gesicht haben muss, um Gott näherzukommen.

Für ihn: Was auf die Ohren

Nach dem seligen iPod und dem iPhone hat Apple mit seinen weißen Airpod-Ohrstöpseln das dritte Utensil entwickelt, das das Straßenbild der westlichen Welt entscheidend prägt. Ein großer Prozentsatz der Stadtbevölkerung hat heute jedenfalls den steifen Knopf im Ohr, sei es zum fernmündlichen Konferieren, für den täglichen Optimierungs-Podcast oder einfach nur, um den Noise der Welt auszublenden. Die öffentliche Botschaft solcher Earbuds ist recht eindeutig: Ich bin zwar körperlich hier, geistig aber eher woanders. Zur neuen Etikette und Höflichkeit gehört es deshalb, die Kopfhörer zumindest einseitig herauszunehmen, sobald man in Interaktion mit anderen leibhaftigen Menschen tritt.

Der kolumbianische Musiker Maluma verweigerte diese Anstandsgeste und trat nun sogar mit Ohrstöpseln bei der Grammy-Verleihung auf dem roten Teppich an. War natürlich ein PR-Gag, lanciert vom Akustik-Konkurrenten Bose, der die derart inszenierte Kleinelektronik extra mit Brillanten besetzt hatte. Interessant an der kleinen Posse ist aber vor allem, wie die Geräte die Wahrnehmung der Betrachter verändern. Selbst wenn der Träger damit in voller Pracht vor den Fotografen posiert, wirkt es, als wäre er nicht ganz da. Und es zeigt sich, dass ein schöner Smoking, wie dieser von Dolce & Gabbana, durch die Dinger selbst mit Brillanten banalisiert wird. Es hat schon einen Grund, warum der klassische Leitfaden zum Tragen eines Smokings eigentlich keinen Schmuck erlaubt, nicht mal Armbanduhren lassen Traditionalisten gelten, um die Würde des Abendanzugs nicht zu mindern. Aber es hört ja keiner mehr zu.

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