Süddeutsche Zeitung

Aberkannter Michelin-Stern:Gourmet-Koch verklagt Kritiker

Lesezeit: 3 min

Von Nadia Pantel, Paris

Jeden Morgen durchstreifen zwei Botaniker die Hügel und Hänge rund um das kulinarische Imperium, das sich Marc Veyrat in seiner Heimatgemeinde Manigod erschaffen hat. Sie sammeln Kräuter und Blätter für die "Symphonien", die Veyrat in seiner Küche komponiert. Dabei kommen sie auch an der großen Skulptur vorbei, die Veyrat wie einen Scherenschnitt aus Eisen ins Tal blicken lässt.

Veyrat hat es nicht nur auf seiner eigenen Terrasse zum Monument geschafft, sondern landesweit. Seinen ersten Stern bekommt Veyrat, der heute 69 Jahre alt ist, 1986 vom Guide Michelin verliehen. Seitdem mehrt sich Jahr um Jahr der Ruhm - "bester Koch des Jahres" (Gault & Millau 1989 und 1990), dritter Michelin-Stern (1995), erster Koch, der vom Gault & Millau die Bestnote 20 von 20 Punkten bekommt (2003). Doch nun, 2019, wackelt das Monument. Am Mittwoch begann in Paris der Prozess Veyrat gegen Michelin - Koch gegen Kritiker.

"Es ist für mich, als wären meine Eltern ein zweites Mal gestorben", beschreibt Veyrat in einem Interview mit dem Wochenmagazin Le Point seinen Gemütszustand. Seine Frau habe sein Jagdgewehr versteckt, weil er sich mit "den finstersten Ideen" herumgeschlagen habe. Auslöser der Depression, über die Veyrat seit Monaten auf allen Kanälen berichtet? Der Guide Michelin hat ihm im Januar dieses Jahres seinen dritten Michelin-Stern aberkannt.

Veyrat zieht den Kulinarik-Führer nun vor Gericht: Der Michelin soll die Dokumente öffentlich machen, die Veyrats Herabstufung zugrunde liegen. Veyrat zweifelt an, dass die Kritiker sein Restaurant besucht haben, und fordert Belege. Der Michelin-Verlag hat seinerseits eine Gegenklage eingereicht und fordert 30 000 Euro Schadenersatz. Richard Malka, der Anwalt des Verlags, wirft Veyrat "pathologischen Egoismus" vor, der Koch wolle die Meinungsfreiheit einschränken.

Der Streit zwischen Veyrat und dem Michelin-Verlag eskalierte, nachdem der Koch im März den Verlagssitz Michelins besucht und eine Erklärung gefordert hatte. Laut Veyrat wurde ihm entgegnet, dass die von ihm servierten Jakobsmuscheln "wattig" gewesen seien und er zu einem Soufflé eine simple Scheibe Cheddar kredenzt habe.

Vor allen Dingen diese Käsebeleidigung trifft Veyrat schwer. "Wie kann man so viel Macht haben und so inkompetent sein?", fragte Veyrat in verschiedenen Interviews und richtete sich damit an die "Amateure" bei Michelin. Cheddar? In seiner Küche? Veyrat hat nicht nur zwei Botaniker eingestellt, er baut sein eigenes Gemüse an, hält Hühner neben dem Restaurant und die Kühe, die die Milch für seinen Käse liefern, grasen so nah, dass man ihnen die Schulter streicheln kann. Wenn es bei ihm gelben, optisch an Cheddar erinnernden Käse gibt, dann eine mit Safran verfeinerte Komposition aus den lokalen Käsesorten Beaufort, Reblochon und Tomme.

Während Veyrat seine Kritiker als "Amateure" beschimpft, entscheidet man sich bei Michelin für das Prädikat "Künstler". Gwendal Poullennec, internationaler Direktor des Guide Michelin, sagte in einem Interview mit CNN: "In Frankreich sind Köche echte Künstler, sie sind sehr stolz, manchmal auch exzessiv und empfindlich." Der Verlag müsse es vermeiden, sich auf "emotionale Erpressung" einzulassen, nur weil jemand sage, "ich verdiene drei Sterne, weil ich bin, wer ich bin".

Der gekränkte Veyrat gibt an, er kämpfe für die junge Generation. Er wolle dafür sorgen, dass für nachfolgende Köche die Entscheidungen der Restaurantkritiker transparenter werden. Er ist nicht der erste Koch, der sich über die Macht des Guide Michelin beklagt. 2017 bat Sébastien Bras den Michelin Verlag darum, aus dem Guide gestrichen zu werden. Bras hatte sich drei Sterne erkocht, doch er wolle sich "von dem Druck befreien", den die Auszeichnung mit sich bringe. 2003 beging der Drei-Sterne-Koch Bernard Loiseau Suizid, nachdem in der Presse darüber spekuliert worden war, ob er einen Stern zu verlieren drohe.

Eines nahm bei dem Streit um den Michelin bislang keinen Schaden: Veyrats Geschäft. Der Koch gibt an, dass sich sein Umsatz in diesem Jahr um zehn Prozent gesteigert habe. Die Gäste seien begeistert von seinen Menüs "Symphonie im Unterholz" (nur Mittags, 295 Euro) und "Großes Fest in den Sternen" (395 Euro). Die Speisefolgen beginnen mit Roter Bete aus Veyrats Gemüsegarten und enden, zehn Gänge später, mit der "Dessertlawine".

Die Speisen kommen bei Veyrat mit Vorliebe auf Stroh, Stein oder Holz auf den Tisch. Seine Anhänger, die ihre Restaurantbesuche auf Instagram dokumentieren, machen Fotos von Schalentieren, die auf großen Kieseln liegen, von aufgeschlagenen Eiern, neben denen eine grün gefüllte Spritze liegt, von Rippen neben Thymianblüten. Und natürlich von Veyrats Hut. Den hat der Koch zu seinem Markenzeichen gemacht, er druckt ihn unter anderem auf die Schokolade, die er herstellen lässt. Der Hut mag die deutsche Öffentlichkeit an Udo Lindenberg denken lassen, für Veyrat selbst ist der Hut in erster Linie eine Verbeugung vor seiner Heimat, den Savoyer Alpen. Die Legende will es so, dass Veyrat bereits als kleiner Junge diesen traditionellen Hut trug, und sich auf seinem kilometerlangen Schulweg, den er zu Fuß zurücklegte, Bergkräuter an die Krempe steckte.

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SZ vom 28.11.2019
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