Süddeutsche Zeitung

Geschmackssache:Die Schieferplatte

Warum richtet neuerdings sogar jeder Landgasthof seine Speisen auf Schieferplatten an? Das sieht vielleicht hip aus, ist aber unpraktisch. Und die Schneidegeräusche auf dem steinernen Rechteck sind schwer zu ertragen.

Von Titus Arnu

Moderne Schulen schaffen die altmodischen Schiefertafeln nach und nach ab - und ersetzen sie durch elektronische Whiteboards oder Plastiktafeln, auf die man mit wegwischbaren Filzstiften schreibt. In der Gastronomie ist der gegenläufige Trend zu beobachten: Weiße Teller werden immer öfter durch schwarze Schiefertafeln ersetzt. Das soll dann modern wirken, ist aber, platt gesagt, meistens totaler Flachsinn. Selbst durchschnittliche Gasthöfe auf dem platten Land machen mittlerweile schwer auf nordische Küche und servieren mikroskopisch kleine Häppchen, ordentlich aufgereiht auf einem steinernen Rechteck. Es ist unklar, wer diese Platte zuerst aufgelegt hat, aber es gibt kaum ein Romantik-Hotel oder einen Möchtegern-Sternekoch, der nicht mindestens den Gruß aus der Küche oder die Butter auf so einem Plan-Quadrat präsentiert. Gruß zurück: Was soll der Quatsch? Alles gerät damit irgendwie auf die Schiefer-Bahn. Wenn etwa ein bunter Salat auf einem schwarzen Stein liegt, mag das rockig aussehen, aber es zeugt eher vom platten Humor des Kochs als von sinnvoller Planung. Die Soße trieft an den Rändern runter, es entsteht ein Plattensee. Wenn ein Dessert kunstvoll zu einem Plattenbau auf Schiefer-Fundament aufgetürmt ist, kann der Gast es kaum anrühren, sonst ähnelt die Szenerie bald einem Erdbebengebiet, inklusive plattentektonischer Verschiebung. Und dann das Schlimmste: Dieses furchtbare Knirschen und Kratzen, wenn Messer und Gabel den Schiefer berühren. Das scheußlichste Geräusch der Welt, man kennt es aus der Schule, wenn die Kreide über die Tafel quietscht. Es gibt eine geniale Erfindung, die all diese Probleme löst. Das Ding ist rund, schön schlicht, hat einen praktischen Rand und heißt "Teller".

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Quelle:
SZ vom 21.11.2015
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