Süddeutsche Zeitung

Flottgemacht:Frohe Bootschaft

Lesezeit: 4 min

Bei schicken Motoryachten denkt man eigentlich an Saint-Tropez. Dabei ist Berlin das größte Wassersportrevier Europas. Restaurierte Vintage-Boote sind dort sehr gefragt.

Von Verena Mayer

Willi Röhricht steht in einer Halle voll mit alten Booten und weiß nicht, für welches er sich entscheiden soll. Das Postboot aus Schweden, fast hundert Jahre alt, mit dem man schnell und lautlos über Seen und Flüsse flitzen kann? Oder das spitz zulaufende Sportboot aus der DDR, mit einem original Wartburg-Motor darin? Willi Röhricht geht schließlich auf ein italienisches Rettungsboot aus dem Jahr 1960 zu. Weiß und rot lackiert, rundlicher Bug, mit einer Holzbank darin, auf der man sich sofort eine italienische Filmdiva vorstellen kann, die sich mit einem Kopftuch gegen den Fahrtwind schützt. "Das ideale Wochenendboot", sagt Röhricht, während er sachte über die metallene Außenhaut streicht.

Willi Röhricht ist 32, er lebt in Berlin und hat Medienwissenschaft studiert. Aber nichts kann ihn so sehr begeistern wie alte Boote. Die stehen gerade dicht an dicht in einer kleinen Werft im Ostberliner Stadtteil Oberschöneweide. Schiffe aus Holz und Schiffe aus Metall, die früher Fischern, Hotels, der Polizei oder einer Marine gehörten, keines hat weniger als vierzig Jahre auf dem Buckel. Sie sind offen oder haben eine Kajüte, sie wurden monatelang renoviert, verzinkt, sandgestrahlt und lackiert. Und warten nun darauf, dass ihre Besitzer oder Mieter sie an diesen ersten warmen Frühlingstagen wieder zu Wasser lassen.

Willi Röhricht, Hipsterbrille, Windjacke, Hund, gehört zu jenen urbanen Menschen, die einen neuen Lifestyle für sich entdeckt haben: das Leben am Wasser. Wer viel Geld hat, zieht in den Neubau am Kanal oder kauft sich ein Häuschen am See. Der Rest will ein Boot haben, allerdings nicht irgendeinen Kahn oder eine Jolle aus Plastik. Sondern am besten ein historisches Motorboot. Röhricht hat daraus inzwischen ein Geschäft gemacht. Er kauft alte Bootsrümpfe, Steuerräder, Tachos, Motoren, Messingbeschläge, Schaltknüppel und Holzteile zusammen, lässt die Boote möglichst originalgetreu restaurieren und verkauft oder verleiht sie dann. Für Picknicks und Badeausflüge, an Leute, die am Wasser herunterkommen wollen oder einfach ihren Sinn für Stil zelebrieren.

Der Charme des Nostalgischen: Die "Bootsmanufaktur" in Berlin-Oberschöneweide.

Als der Architekt Nils Clausen (links) 2008 begann, alte Kähne anzukaufen und in seiner Bootsmanufaktur zu restaurieren, zeigten ihm die Banken den Vogel.

Heute kann er sich vor Aufträgen kaum retten - ein restauriertes Boot in einer Halle am Kalksee in Woltersdorf.

Auch Willi Röhricht (rechts) hat aus dem Trend ein Geschäft gemacht, er vermietet nostalgische Schiffe.

Mit schicken Booten verbindet man eigentlich Orte wie Saint-Tropez oder Marbella, die Hamburger Alster oder den Starnberger See. Doch eines der wichtigsten Zentren der Bootskultur war immer schon die Metropole Berlin. Weil es nirgendwo ein so großes Gebiet an zusammenhängenden Gewässern gibt wie rund um die Hauptstadt. Wenn man die Mecklenburgische Seenplatte noch dazunimmt, hat man das größte Wassersportrevier Europas, jeder See ein "märkisches Meer", wie einst Theodor Fontane sagte. Und es gab in Berlin immer schon jede Menge standesbewusster Leute.

In den Zwanzigerjahren waren es Verleger, Brauereibesitzer oder Bankdirektoren, die an den Seen bei Berlin ihre Villen hatten und am Steg die dazu passenden Boote. Später tuckerte Hildegard Knef mit einem Oldtimer-Holzboot über den Wannsee, Jubelwanne hieß das Gefährt. Und seit etwa zehn Jahren sei es die gehobene Mittelschicht, die sich alte Boote aufarbeiten lasse, sagt Willi Röhricht. Leute aus der Medienbranche, der IT- oder Start-up-Szene. Die haben zwar keinerlei Beziehung zur Seefahrt, die meisten verfügen noch nicht mal über den Bootsführerschein. Aber sie haben einige Zehntausend Euro für ein stilvolles Statussymbol übrig. Mein Penthouse, mein Fixie, mein Vintage-Boot.

Der Kalksee östlich von Berlin. Ein graublaues Gewässer, umgeben von Wiesen und Feldern. Am Ufer ein altes Werftgelände, die Reste der Schiffsindustrie, die hier mal blühte, ehe nach der Wende alles den Bach hinunterging. Jetzt ist dort die "Bootsmanufaktur" untergebracht, ein Reparaturbetrieb für Vintage-Boote. Besitzer ist Nils Clausen, der den Besuch in einer alten Werkstatt empfängt, die inzwischen ein Sommerhaus ist. Hohe Fenster mit Seeblick, hölzerne Dachbalken, und dazwischen ist sorgsam arrangiert, was Clausen auf Flohmärkten auf der ganzen Welt entdeckt hat. Ein antiker Billardtisch, ein Schaukelstuhl, ein Designerherd, der früher mal eine hölzerne Werkbank war, an den Wänden hängen Ruder und alte Stiche von Schiffen. Clausen, 50, grauer Bart, tiefe Stimme, bezeichnet sich selbst als "Kieler Jung". Er hat eigentlich Architektur studiert und in Berlin Modelle für Architekten gebaut. Daneben hat er hin und wieder an alten Booten herumgebastelt, bis ihn eines Tages die Leidenschaft packte. Er begann zu sammeln, was er in die Finger bekam, beziehungsweise das, was irgendwo in der Gegend herumstand. Und das war einiges im Berlin der Neunzigerjahre. Eine heruntergerockte Stasi-Yacht genauso wie ein ausrangiertes Ausflugsschiff von Siemens oder die Ajax, ein offenes Lotsenboot aus dem Jahr 1926. Vieles fand er in Schuppen in Brandenburg, wo die Leute nach dem Krieg ihre Boote in den Seen versenkt hatten, um sie vor den Russen zu verstecken.

Clausen hat seine alten Schiffe erst für Filmproduktionen und Events vermietet, auf seiner Ajax schipperte 2015 auch die Queen bei ihrem Staatsbesuch in Deutschland über die Spree. Von der Abfindung, die Clausen von seiner Arbeit für ein Wassersportmagazin bekam, zog er schließlich seine Bootsmanufaktur auf, erst in der Werft in Berlin-Oberschöneweide, seit zwei Jahren hat er nun auch einen Betrieb am Kalksee. Als er im Jahr 2008 in das Geschäft eingestiegen sei, hätten ihm in die Banken "den Vogel gezeigt", sagt Clausen. Heute seien alte Boote eine Wertanlage, er könne sich der Aufträge kaum erwehren. Von Architekten, Designern, Professoren und Schauspielern, Til Schweiger fährt auch schon ein altes Polizeiboot.

Clausen blickt aus dem Fenster. Auf einer Wiese stapeln sich Schiffsteile, daneben wird ein Boot aus den Dreißigerjahren restauriert. Sogenannte Autoboote reihen sich aneinander, eines wurde 1915 gebaut, mit einer eigenen Kabine für den Chauffeur. In der Bootsmanufaktur werden sie von Schreinern, Stahlbauern, Schweißern und Kunstschmieden bearbeitet, einer der Handwerker stammt von einer französischen Kriegsschiffwerft. Vor allem Holzboote brauchen viel Pflege und müssen einmal im Jahr von Grund auf gewartet werden. Was fasziniert die Leute so daran? Das Zeitlose, Besondere, sagt Clausen. "Ein altes Boot braucht man wie ein Loch im Kopf. Das ist reiner Luxus." Wer sich dafür interessiere, habe ein ästhetisches Empfinden, wolle sich von der Masse absetzen. Vor allem aber suchten die Leute eine Rückzugsmöglichkeit, und die finde man nirgendwo so schnell wie auf dem Wasser. Wo fast nichts reguliert sei, es kaum Vorschriften gebe. "Auf dem Wasser ist man wirklich frei."

In der Berliner Werft ist immer noch Willi Röhricht mit seinem Hund unterwegs. Er bahnt sich seinen Weg durch die Halle, vorbei an Booten friesischer Bauern, die damit ihre Kühe transportiert haben, an Rettungsbooten britischer Kreuzfahrtsschiffe aus den Vierzigerjahren, an einem überdachten Holzboot. Es gehört einem jungen norwegischen Schriftsteller, der eine Schaffenskrise hatte und dachte, er geht erst mal nach Berlin. Sein Boot nahm er mit. In Regalen stehen alte Motoren, von Mercedes, Opel oder Rolls-Royce, dazwischen Kisten mit Schiffsschrauben, Muttern, Schäkeln. Es riecht nach Leim, Metall und Farbe, Röhricht zieht den Geruch ein, als gebe es nichts Besseres. Sein erster Gedanke morgens gelte alten Booten und sein letzter vor dem Schlafengehen, erzählt er. Was genau zieht ihn denn so in Bann? Das Alte, sagt Röhricht. Etwas mit Patina und Geschichte zu finden und dann wieder zum Leben zu erwecken.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2017
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