Süddeutsche Zeitung

Ladies & Gentlemen:Blüh im Glanze!

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Gedruckt, angenäht oder aufgesetzt: Bei den aktuellen Sommerkollektionen spielen Blumen eine große Rolle. Kein Wunder, in dunklen Zeiten!

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Her mit den Stilblüten!

Blumen verschwinden in der Damenmode nie, nur im modernen Straßenbild gingen sie, abgesehen von den obligatorischen Sommerfetzen, in den letzten Jahren etwas unter. Traut sich ja aus lauter Angst, angenehm aufzufallen, keiner mehr was Üppiges, und außerdem sind gute Blumenprints kostspielig. Wie gut, dass Blumen jetzt nicht mehr nur als Stoff-Prints, sondern auch als Stoffskulpturen eine große Rolle spielen. Ja, war alles schon mal da, aber das ist kein Grund, nicht mitzumachen. Bei Roksanda ist zum Beispiel eine Rosette am Kleid dermaßen elefantös geraten, dass man gar keinen Rock mehr sieht. Aber wir wollen die moderne Frau, die sich die letzten Jahre aus Sicherheitsgründen in minimalistischen Coffee-Shop-Farben gekleidet hat, nicht gleich überfordern. Der erste Schritt für ein bisschen mehr Witz und Drama wären kleine Stoffrosetten am weißen Baumwoll-Revers, so wie bei Prada diesen Sommer. Unser Liebling ist aber diese abstrakte, hinplissierte Blüte am Hemd von Blumengott Dries Van Noten, oder wie Fans sagen: dem Lieblingsdesigner der denkenden Frau. Würde sie doch bloß nicht so viel denken, die denkende Frau, möchte man rufen, vor allem wenn es um Mode geht. Dann könnte sie sich in Ruhe ihren größten Wunsch erfüllen, nämlich sich einen ulkigen Papagei auf die Schulter setzen und mit ihm reden. Weil es aber beim Thema Auffallen bekanntlich rote Linien gibt, muss es erst mal die Dries-Blüte tun, die ans Pluster-Gefieder-Gefühl ziemlich nah rankommt. Schade, dass sie nicht antwortet.

Für ihn: Die neue Anti-Tristesse

Ob in der Münchner Kunsthalle oder in den aktuellen Kollektionen der großen Modelabels: Flower Power ist die alternative Energiequelle der Stunde, und das scheint dieses Jahr ausnahmsweise nicht nur was mit dem sich anbahnenden Frühling zu tun zu haben. Viel eher wirkt es so, als wäre die kollektive Blumenbetrachtung eine Therapie gegen das allgemeine Welt- und Wintergrau und gewissermaßen zudem Ultima Ratio: Auch wenn angesichts des ganzen Bomben- und Erdbebenschutts eigentlich nix mehr hilft, hilft vielleicht noch die Erinnerung an die Kornblume, die sich irgendwann den Weg durch das Elend bahnen wird. Unter solch therapeutischen Aspekten gesehen, ist dieses Ensemble von Louis Vuitton ein ziemlich hoch dosiertes Präparat. Wer als laufende Klatschmohnwiese mit passendem Häubchen ankommt, hat auf jeden Fall eine friedliche Ausstrahlung in der Größenordnung Gandhi und erinnert nur ganz entfernt an Werbung für Light-Margarine. Zivile Wildblumen auf dem Gewand sind natürlich auch das Gegenteil von militärischer Camouflage. Einen grundsätzlichen Nachteil haben derart expressive Looks aber, egal ob sie nun Blumen, Paradiesvögel oder andere exaltierte Muster zeigen: Sie sind eigentlich nach einem großen Abend verbraucht. Frauen kennen das Problem mit besonderen Kleidern - Wohlwollen und Wow-Effekt sind beim ersten Auftritt leicht einzusammeln, aber eben nur einmal. Kommt man nach zwei Wochen wieder floralfrontal auf die Vernissage, hat der Look schon deutlich an Strahlkraft eingebüßt. Ist eben so: Mohn verblüht schnell, auch wenn er aus Paris kommt.

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