Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Es muss nicht immer brennen

Lesezeit: 3 min

Chilis werden oft danach beurteilt, wie scharf sie sind. Das ist verständlich, führt aber auch dazu, dass wir die Schoten geschmacklich ständig unterschätzen.

Von Marten Rolff

Es ist vielleicht etwas mehr als zehn Jahre her, dass die Deutschen anfingen, sich näher für Chilisorten zu interessieren. Anfangs schien es dabei weniger um Essen zu gehen als um eine Art Mutprobe oder Extremsportart. In Foren tauschten sich Menschen über persönliche Rekorde bei der Erfahrung mit Schärfegraden aus, gemessen mit einem geheimnisvollen Dings, das sich Scoville-Scala nannte; wer mitreden wollte, sollte mindestens bereit sein, das morgendliche Zähneputzen durch das Kauen von Habanero-Kernen zu ersetzen. Und wenn man in Berlin eine Currywurst bestellte, wurde man nun häufig von Verkäufern verschwörerisch angezwinkert: "Na, die Extrascharfe mit Spezialmischung? Traunse sich?"

Ein bisschen widersprüchlich ist das schon. Weil der Schärfegrad einer Chilischote von ihrem Capsaicingehalt (CPS) abhängt, einem Alkaloid, das die Pflanze eigentlich produziert, um sie vor Fressfeinden zu schützen. Unser Körper verbucht Schärfe auf der Zunge erst mal als Verbrennung, worauf das Gehirn umgehend Endorphine ausschüttet, um die Schmerzen zu lindern. Das fördert den Speichelfluss und wirkt durchaus anregend - allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze. In der englischen Stadt Bradford etwa, wo es besonders viele indische Restaurants gibt, kursieren Geschichten, dass sich Studenten dort gerne Wettbewerbe um das extraschärfste Vindaloo-Gericht liefern. Für europäische Milchgesichter wirkt der Verzehr mancher Currys hier, als kauten sie auf einem glühenden Nadelkissen und ließen sich dabei die Kopfhaut mit einem Nagelbrett massieren. Und weil die Wirte um diese Wirkung wissen, lassen sie die Studenten vorher Warnhinweise unterschreiben.

Ja, die Schärfe mag wichtig sein, aber sie ist natürlich längst nicht alles. Und sie kann, vor allem wenn sie schlecht in ein Gericht integriert ist, die vielen anderen geschmacklichen Vorzüge von Chili überlagern. Die oft herrliche Fruchtigkeit zum Beispiel, grasige Noten, die zitronige Frische von Habaneros oder das Aroma (unreifer) grüner Chili-Schoten, das an Erbsen oder Bohnen erinnern kann. Im südindischen Chettinad gibt es Lammcurrys, für die 30 Mundu-Chilis (eine rote, gar nicht so milde, aber enorm fruchtige Sorte) und 30 Knoblauchzehen verkocht werden, ohne dass man um seinen Gaumen fürchten muss, im Gegenteil, das Ergebnis ist sehr ausgewogen und fruchtig. Und im Bundesstaat Tamil Nadu wird die Sorte Mor Milagai unreif eingesalzen, in der Sonne getrocknet und dann in Buttermilch mariniert. Die komplexe, leicht holzig-rauchige Würze hat mit dem Verbrennungsschmerz auf Europas masochistischen Capsaicin-Partys denkbar wenig zu tun.

Europas feinste Sorte: Piment d'Espelette

Ein wichtiges Argument für Chili ist, dass sich Schärfe damit sehr pointiert setzen lässt. Etwa, weil man damit arbeiten kann, dass Capsaicin fett-, aber nicht wasserlöslich ist. Oder weil einige Zutaten (Erdnuss, Kürbis) der Chilischärfe mehr entgegensetzen als andere. Als Einstiegsdroge sind ohnehin die - eher mild scharfen "europäischen" Sorten zu empfehlen, die ursprünglich natürlich auch einmal eingeführt wurden. Besonders fein: Piment d'Espelette, von den Basken "Gorria" genannt, was "die Rote" bedeutet. Man importierte die Sorte im 17. Jahrhundert von den Antillen und baut sie bis heute in Südwestfrankreich an.

Wer sich nicht vorstellen kann, dass Chilis zur Touristenattraktion taugen, sollte Espelette besuchen. Ein puppiges Dorf mit baskischem Fachwerk in Rot und Grün, wo quasi jeder Quadratzentimeter für den Chili-Anbau genutzt wird. Jeder zweite Laden bietet Chili-Spezialitäten an (Chili-Eis, Chili-Wurst, Chili-Öl, Chili-Alles), manche Verkäufer tragen Baskenmütze und Ringelshirts. Kurzum: Der Ernst, mit dem hier Authentizität verkauft wird, ist heilig.

Tatsächlich ist die Ware hervorragend. Piment d'Espelette hat eine feine, leichte, weil nicht lang nachhallende Schärfe. Die Chili-Sorte bringt es auf 1500 bis 2500 Scoville, wobei der Wert die Anzahl der Capsaicin-Moleküle pro Schote bezeichnet. Zum Vergleich: Handelsübliche Paprika erreicht 0 bis 10 Scoville, Peperoni (Gewürzpaprika) 100 bis 500, mexikanische Habaneros bis zu 350000 und Pepper X, die wohl schärfste Chili-Sorte der Welt, bis zu 3,3 Millionen.

Die sanfte Schärfe von Piment d'Espelette passt zu fast allem, entsprechend wird sie im Baskenland als Pfefferersatz genutzt und ist aus vielen Gerichten der französischen Küche nicht wegzudenken. Für ein erstes Kennenlernen ist Espelette perfekt, um behäbige Gemüsesorten aufzupeppen. Auf dünn geraspelten rohen Zucchinischeiben zum Beispiel (mit Vinaigrette und Meersalz) oder im Bohneneintopf.

Besonders gut passt Espelette-Chili zu gegrillter Süßkartoffel. Dafür eine große Süßkartoffel schälen, würfeln und mit gutem Olivenöl (leicht benetzen reicht) und einem milden Salz marinieren. In einer Pfanne kurz einen knappen TL Kreuzkümmel (und nach Belieben etwas Bockshornklee) in einer beschichteten Pfanne anrösten. Alles im Mörser mahlen, eine große Prise Zimt beimengen und damit die Süßkartoffel würzen. Auf dem Grill, im Ofen oder in der Pfanne garen. Am Ende großzügig (nach Geschmack) mit Espelette-Chili (grob gemahlen) besprenkeln und mit etwas Zitronensaft beträufeln. Auch gehackte Petersilie oder Koriander schmecken dazu.

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