Süddeutsche Zeitung

Modekolumne Ladies & Gentlemen:Je suis Influencer!

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Die Filmfestspiele in Cannes galten lange als Treffpunkt der wirklich Guten und wirklich Schönen. Das hat sich geändert - diesmal blockierten auffällig viele Netz-Stars den roten Teppich.

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Schnell verpufft

Bei Filmfestivals sind immer Adabeis unterwegs. Aber in Cannes, dem glamourösesten aller Branchenfeste, durften die bisher nur auf die AMFAR-Gala in Antibes, wo Systemgastronomie-Millionäre ihrem nölenden Täubchen mit Society-Ambitionen einfach einen Tisch kaufen konnten. Die Talentierten, also die Juliette Binoches und Tilda Swintons, flanierten währenddessen relativ ungestört von diesen Kleiderständern über den roten Teppich, und uns bezauberte das, weil Schönheit und Talent nun mal eine seltene Mischung sind. Wir hatten ja noch nicht mal was gegen Werbung von Top-Notch-Juwelieren an den Hälsen dieser Filmdiven! Jetzt aber ist - vielleicht nur, weil man wegen des Event-Entzugs der letzten Jahre ein bisschen sensibler geworden ist - eine sehr grobschlächtige Dynamik der Produktplatzierung auch direkt vor dem Filmolymp an der Croisette zu beobachten. Irgendwelche Fashion-Influencer werden von nicht ganz so hochkarätigen Juwelierfirmen eingeladen und gerieren sich, als seien sie selbst Stars. Hier sehen wir als Beispiel Leonie Hanne. Sie trägt ein Kleid von einem Label, das Nicole Felicia Couture heißt, und um es mal mit Karl Lagerfeld zu sagen, der einst über Heidi Klum bemerkte: "Die kennen wir nicht." Wollen wir auch nicht, weil dieser sterbende, ungut in drei Etagen zusammengebastelte Schwan in Neonpink uns den Blick auf die echten Stars vertüllt. Millionen Insta-Follower, ja, Gratulation, aber auf den echten Red Carpets dieser Welt muss die Demokratisierung im Namen aller Analog-Fans bitte sofort aufhören.

Für ihn: Kurz geraten

Es soll keinesfalls zukunftsmüde klingen, aber man fragt sich schon, was Noah Beck vor 30 Jahren gemacht hätte. Eventuell wäre er in eine Boyband gecastet worden, vielleicht auch nur für die Bravo-Foto-Love-Story. Heute aber ist er einer der größten Tiktok-Stars Arizonas, was bedeutet, dass er in kurzen Clips vor der Kamera herumkaspert, irgendwie trällert, tänzelt, hinfällt oder einfach nur verwuschelt dreinschaut. Das genügt, um millionenfach betrachtet und als VIP-Gast durch die halbe Welt geflogen zu werden. Full Time Content Creator nennt sich das dann. Davor war Beck hoffnungsvoller Fußballspieler in Portland, was dagegen wie ein seriöser Beruf wirkt. Wie auch immer, für seine sehr notwendige Teilnahme an den Filmfestspielen in Cannes hat sich Herr Beck in etwas gezwängt, das durchaus mediterran wirkt - man erkennt es hier nicht genau, aber es ist eine hälftig abgeschnittene weiße Smokingjacke. Kellner in Grandhotels an der Riviera trugen solche kurzen Jacken in den 50er-Jahren, um stilgerecht Fruchtpunsch am Tisch von Thomas Mann zu servieren, woraufhin der dann endlich den Felix Krull fertig schrieb. Klar, so ein Outfit ganz in Weiß unterstreicht Becks brünette Wuscheligkeit und die kastig kurze Jacke seinen sportiven Oberkörper. Und irgendwie ist die Assoziation mit einer Aushilfskraft im Service für einen Studenten an der Croisette auch passend. Aber das war's dann auch, was man in diesen Auftritt interpretieren konnte. Wahrscheinlich trifft es der Titel seiner Youtube-Sendung am besten: "Noah Beck tries things". Ja, kommt hin.

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