Süddeutsche Zeitung

"Anziehsache" zu Tiermotiven:Mit Baby und Johnny an die Poolbar

Lesezeit: 2 min

Es gibt Menschen, die T-Shirts mit heulenden Wölfen tragen. Sie sollten sich lieber an Vögel halten.

Von Lena Jakat

So ein Stau ist ziemlich ätzend. Der Asphalt glüht, die Blase drückt, die Mitfahrer nölen im Nacken. Die Zeit zieht sich mit der Straße bis in die Unendlichkeit. Erzwungene Minuten, die zu Stunden werden. Wenn sich ihnen etwas Positives abgewinnen lässt, ist es die Kontemplation. Endlich Zeit, die Umwelt sinnierend zu betrachten. Hat der Vertreter auf der rechten Spur seine Hemden im Fond gebügelt? Wie weit kann einem Schlafenden der Kopf in den Nacken rutschen, ohne abzubrechen? Und vor allem: Wer verpackt das Reserverad seines Jeeps in einen heulenden Wolf?

Erwachsene und Tiermotive, das ist eine problematische Beziehung. Reserveräder mögen weniger werden, doch der Wolf streift zuletzt wieder zahlreicher durch die Wälder der Republik. Auch als T-Shirt-Print ist er vom Aussterben weit entfernt. In Airbrush-Optik, den Kopf heulend zum Vollmond erhoben, dem womöglich noch zwei Seeadler entgegen schweben, ziert der Wolf wieder Shirts und Sweater, als wäre es 1984 und Westernlook total trendy.

Menschen in Wolfsshirts, die sich außerhalb ihres Line-Dance-Klubs bewegen: schwierig. Dasselbe gilt für all diejenigen, die ihren Mickey-Maus-Pullover aus dem geschützten Bereich des passenden Freizeitparks befreien. Von Hawaiihemden mit Schwertfischmotiv ganz zu schweigen. Wenn ich so darüber nachdenke, den Jeep auf der Mittelspur im Blick, gibt es zwei Arten sozialverträglichen Tiermotivtragens: Elche auf Norwegerpullovern und sehr sehr Kleinbedrucktes.

Schwalben, Eulen - Enten?

Ausreichend abstrahiert und verkleinert, lassen sich sogar die anrüchigsten Emojis unauffällig auf Hemden applizieren. Wenn Tiere so dezent wie Tupfen Blusen, Hosen, Kleider zieren, handelt es sich dabei aus irgendeinem unerklärlichen Grund oft um Vögel.

Zuerst waren da die Schwalben. Die lassen sich nicht nur gut zeichnen, sondern symbolisieren obendrein nichts geringeres als die Freiheit und - so klein wie ganz hoch am Himmel - gutes Wetter. Dann kamen die Eulen dazu. Vielleicht hatte Harry Potter etwas damit zu tun. Oder sie passten einfach so gut zum hipsterigen Oma- Look mit den großen Brillen, dass die Eule mitunter sogar großflächig getragen werden konnte. Und wer schmückt sich nicht gern mit dem Vogel der Weisheit, der sich selten anmerken lässt, dass er zum Frühstück ein paar Babymäuse verspeist hat?

Und jetzt? Welches Tier richtet sich als nächstes auf den Klamottenstoffen ein? An meinem ersten Schultag trug ich einen dunkelblauen Pullover mit zwei Gänsen, die bunte Schleifen um den Hals hatten. Gänse, ausgerechnet. Ich fürchte, mit denen werde ich ebenso wenig durchkommen wie der Herr, der neulich in einer Krawattenboutique nach Bindern mit "Viecherln" im Allgemeinen und "Enterln" im Besonderen fragte. Was also als nächstes? Spatzen? Hühner? Störche?

Ich setze auf den Flamingo.

Mir sind Flamingos an ziemlich unwirtlichen Orten begegnet: In einer Bar im Hinterland von New Hampshire, in einem Salzsee auf 5000 Metern Höhe, schon früher auf Sofakissen und in diesem Sommer auf so manchen Kleidern und Blusen.

Wie auch die Ananas, die sich ebenfalls hier und da in der Mode blicken lässt, strahlt der Flamingo die gezähmte Retro-Exotik von Dirty Dancing aus. Mit Baby und Johnny an der Poolbar. Flamingos riechen nach Pina Colada und Sonnencreme, Flamingos klingen nach Manfred Mann auf Vinyl. Genug, um vom nächsten Urlaub zu träumen. Zum Beispiel im Stau auf dem Weg nach Hause.

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