Süddeutsche Zeitung

Zweitliga-Relegation:Elf Kapitäne

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Die Relegation zwingt die freundschaftlich verbundenen Klubs Ingolstadt und Wehen Wiesbaden zum Duell. Der Zweitligist ist nach dem 2:1-Hinspielsieg der Favorit, aber Wehen schöpft Kraft aus der Erinnerung.

Von Johannes Kirchmeier, Wehen/Ingolstadt

Bevor die neunjährige Freundschaft am Freitagabend in eine fünftägige Ruhepause ging, spielten sie noch einmal ihr gemeinsames Lied im Wiesbadener Stadion. "Hey das geht ab! Wir feiern die ganze Nacht, die ganze Nacht", vom Musiker-Duo "Die Atzen" tönte aus den Boxen. "Hey das geht ab! Wehen und Ingolstadt, die Freundschaft", sangen stattdessen die Fans. Das Lied einzuspielen ist schon zum Ritual geworden in dieser Wellblecharena. Denn eine der weniger bekannten Geschichten aus dem deutschen Profifußball ist die der Freundschaft der Fans des SV Wehen Wiesbaden und des FC Ingolstadt 04, die seit 2010 besteht. Als die Wehener Anhänger einmal zu Gast in Ingolstadt waren, weil ihr eigenes Spiel in Regensburg ausgefallen war.

Eine der bekannteren Geschichten ist hingegen, dass diese beiden Vereine nun die Relegation um den letzten freien Platz in der zweiten Bundesliga bestreiten. Am Freitag ging es los in Wiesbaden. Wehen, der Drittligist, hat das erste Spiel 1:2 (0:1) verloren, doch durch den späten Treffer von Daniel-Kofi Kyereh (90.+6) immerhin Chancen aufrechterhalten, am Dienstag im Ingolstädter Sportpark aufzusteigen. "Vielleicht haben wir dann die paar Momente, die man braucht in Fußballspielen, damit es in die andere Richtung kippt", sagte Wehen-Trainer Rüdiger Rehm. Sein Vorbild ist dabei der örtlich nahe Fußballklub SV Darmstadt 98, der vor fünf Jahren in der Relegation im eigenen Stadion sogar 1:3 gegen Zweitligist Arminia Bielefeld verlor, im Rückspiel dann aber 4:2 gewann.

Almog Cohen handelt sich seine fünfte gelbe Karte ein

Der Favorit ist nun aber trotzdem die Mannschaft aus Ingolstadt, die zuletzt unter dem Trainer Tomas Oral in der Liga aus einer scheinbar aussichtslosen Lage noch auf den 16. Tabellenplatz sprang. Und die am Freitagabend über das ganze Spiel gesehen deutlich bessere Chancen hatte. Der Angreifer Darío Lezcano traf jeweils zu Beginn der beiden Halbzeiten: zunächst beim ersten Angriff nach 33 Sekunden aus fünf Metern und später per Elfmeter in der 47. Minute zum 2:0. Kurz zuvor war er selbst gefoult worden vom Wehener Torwart Markus Kolke. Zwischenzeitlich hätte der Stürmer bereits alleine vor Kolke noch ein Tor erzielen können, er lupfte jedoch nicht nur über den Torhüter, sondern auch über dessen Gehäuse. Später hätte er durchaus noch einen zweiten Elfmeter bekommen können, den Schiedsrichter Guido Winkmann jedoch nicht gab - offenbar trotz Rücksprache mit seinem Videoassistenten. Selbst schaute er sich die Szene nicht an.

Noch am Tag danach war Trainer Oral darüber wenig erfreut im Ingolstädter Sportpark, wo die nicht berücksichtigten und eingewechselten Spieler eine Trainingseinheit absolvierten. Dennoch geht der Coach das Rückspiel ähnlich hoffnungsvoll an wie die Partien zuvor. Erstens habe das späte Gegentor die Sinne geschärft, und zweitens habe der FCI in den vergangenen Wochen, in denen er 16 Punkte in sieben Spielen geholt hatte, gelernt, "mit vielen Widerständen umzugehen", sagte Oral. "Alles, was wir gestern erlebt haben, ob das die gelbe Karte ist oder der Gegentreffer, ist ja auch ein Widerstand. Wir haben es in den letzten Wochen sehr, sehr gut hinbekommen, dass wir positiv bleiben und den Glauben an unsere eigene Stärke verfestigt haben. Und alles andere zählt nicht."

Die gelbe Karte, die er ansprach, war die fünfte für seinen Kapitän und Mittelfeldspieler Almog Cohen. Der Israeli ist damit im letzten und entscheidenden Saisonspiel gesperrt, was durchaus eine empfindliche Schwächung bedeutet: Cohen war zuletzt der Rat- und Taktgeber auf dem Feld, der die Pässe der Mitspieler wie ein Magnet anzog, bevor er den Ball doch gänzlich entmagnetisiert wieder weiterleitete an die Füße der Kollegen. Er gab dem Team aus dem zentralen defensiven Mittelfeld heraus den notwendigen Halt. "Wir brauchen elf Kapitäne auf dem Platz, und nicht nur einen", sagt Oral, der noch offenlässt, wer von diesen elf Spielern zumindest die Seitenwahl zu Beginn der Partie absolvieren wird. Zu einem Zeitpunkt übrigens, wenn aller Voraussicht nach auch schon die Wehener Vereinshymne im Ingolstädter Sportpark lief. Für ein paar Minuten Freundschaft soll auch am Dienstag Zeit sein.

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Quelle:
SZ vom 26.05.2019
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