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Zehn Jahre nach dem Tod von Robert Enke:"Der Fußball ist so, und die werden sich nie mit Wattebällchen beschmeißen"

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Was hat sich verändert seitdem? Zumindest die Prävention bei Depression hat sich verbessert, sagt Ehefrau Teresa Enke.

Von Holger Gertz, Hannover

Irgendwann formuliert Teresa Enke einen entscheidenden Satz, sie sitzt beim Podiumsgespräch auf der Bühne des Theaters am Aegi in Hannover und sagt, kein bisschen resignativ: "Der Fußball wird immer so bleiben. Der Fußball ist so, und die werden sich nie mit Wattebällchen beschmeißen." Damit sorgt sie für einen Moment der Klarheit an diesem Abend, Teresa Enke, die ein Talent dafür hat, anteilnehmend und gleichzeitig sehr zupackend formulieren zu können.

Teresa Enke ist die Witwe des Torwarts Robert Enke, der sich vor zehn Jahren, am 10. November 2009, das Leben genommen hat. Enke war depressiv, er hätte sich in einer Klinik behandeln lassen müssen, aber Enke stand im Kader der Nationalmannschaft und war Kapitän von Hannover 96, so einer kann nicht wochenlang ohne Erklärung von der Bildfläche verschwinden. "Ich glaube, die Klinik wäre seine Rettung gewesen", sagt Teresa Enke, aber ihr Mann hielt die Fassade aufrecht. Wie würden Fans, Medien, Gegner denn umgehen mit einem depressiven Profi? Enke ging nicht in die Klinik, spielte weiter Fußball, spielte gut. Nichts aus seinem Inneren drang nach außen, nichts durfte nach außen dringen. Auch das führte zur Katastrophe.

Im Theater am Aegi sind Fans mit 96-Kutte und ein paar Stars und ehemalige Stars des Betriebs, viele davon mit Hannover-Bezug. Die Trainer und Manager Mirko Slomka, André Breitenreiter, Jörg Schmadtke, auch der ehemalige DFB-Präsident Reinhard Grindel. Gibt es jetzt mehr von dieser sogenannten Menschlichkeit, die angemahnt worden war von den Rednern bei der Trauerfeier damals im Stadion von 96? "Fußball ist nicht alles. Fußball darf nicht alles sein", hatte der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger gesagt. "Denkt auch an das, was in den Menschen ist - an ihre Zweifel, ihre Schwächen."

Was ist eigentlich anders geworden seit Enkes Tod, gibt es jetzt mehr von dieser sogenannten Menschlichkeit? Das ist die Frage des Abends, sie steht auch programmatisch über einem Dokumentarfilm aus der NDR-Reihe "Sportclub Story", der in einer Preview gezeigt wird: "Robert Enke - auch Helden haben Depression" heißt der Halbstünder von Henning Rütten (Sendetermin: 10. November, 23.45 Uhr im NDR, schon jetzt steht er in der Mediathek). Der Film ist berührend und bereichernd für solche, die glauben, Enke hätte zeitlebens und ständig gegen die Depression ankämpfen müssen. So war es gerade nicht, es gab seltene Phasen, in denen die Krankheit sichtbar Besitz von ihm ergriff. Aber weite Teile seines Lebens war Enke der ausbalancierte Mann, den seine Frau im Film und auf dem Podium beschreibt. Nicht extrovertiert, aber auch der Introvertierte kann ein fröhlicher, offener Mensch sein, gerade der Introvertierte. Wie wirkte er? "Total selbstsicher, selbstbewusst, das hat man in jeder Trainingseinheit gespürt", sagt im Film sein Freund und Mitspieler Per Mertesacker, "er wollte mehr aus sich rausholen, er wollte mehr aus anderen rausholen."

Die Leute glauben immer, dass es das eine Ereignis gibt, das jemanden aus der Spur bringt, dieses eine hoch verlorene Spiel oder diesen einen Todesfall in der Familie, aber so einfach ist es nicht. Und natürlich gibt es auch leidgeprüfteste Menschen, die keine Depression ausbilden.

Was ist denn jetzt anders geworden? Anders geworden ist, und die Robert-Enke-Stiftung mit der Vorsitzenden Teresa Enke hat da viel bewirkt: Es gibt Adressen, Telefonnummern, Ansprechpartner für Sportler, die spüren, dass sie mit Druck und Angst nicht mehr klarkommen. "Wir hatten das damals eben nicht", sagt Teresa Enke, inzwischen existiert ein Netzwerk aus Sportpsychologen und Sportpsychiatern. Es ist deutschlandweit gespannt - und führt bestenfalls dazu, dass nicht nur die Wettkampftauglichkeit eines Athleten wiederhergestellt wird.

Was nun aber nicht anders geworden ist, ist der Umgang der Öffentlichkeit mit den Stars, das betrifft einen Teil der Medien und einen Teil des Publikums, besonders jenen, der sich im Internet auskotzt. Fußball, man muss sich da nichts vormachen, ist im Leben vieler Menschen der Bereich, wo sie all das rauslassen können, was sie anderswo mühevoll beherrschen müssen. Und kein Fußballer wird diesen Idioten gegenüber etwas von sich preisgeben, schon gar keine Schwäche.

Zehn Jahre nach dem Tod von Robert Enke hat sich also viel geändert und zugleich nichts, zu dieser ambivalenten Bilanz passte der Ehrengast, der im Theater am Aegi aufgeboten war. Teresa Enke hat sich Uli Hoeneß gewünscht, der sich - diesen Eindruck teilte sie mit ihrem Mann - immer so eindrucksvoll vor seine Spieler stellt. Der Bayern-Präsident ist tatsächlich nach Hannover gekommen, trotz des Theaters gerade an der Säbener, das spricht für ihn. Und natürlich spricht für ihn der Umgang seinerzeit mit dem ebenfalls depressiven Sebastian Deisler, dem sie bei Bayern sogar einen offenen Vertrag angeboten haben, er hätte jederzeit wieder einsteigen können, aber er schaffte es nicht.

Uli Hoeneß erzählt von einem Trainingslager in Dubai, Deisler rief immer bei ihm auf dem Zimmer an, er wollte reden. Dann redeten sie, Deisler wollte aufhören mit Fußball. "Er hat immer eine Flasche Bier getrunken. Er hat dann gesagt: 'Herr Hoeneß, es geht nicht mehr. Ich kann nicht mehr.'" Einmal redeten sie bis halb fünf morgens, Hoeneß hatte eine Suite in diesem Hotel, zwei Schlafräume, er bot Deisler an, im zweiten Zimmer zu übernachten, dann wäre er ja in seiner Nähe. "Um halb neun bin ich aufgewacht, da lag er schlummernd in diesem Bett. Ich habe ihn geweckt und gesagt: 'Um neun Uhr ist Frühstück, geh mal runter'", sagt Hoeneß. An dem Tag habe Deisler hervorragend trainiert. "Ich dachte, jetzt haben wir es geschafft."

Wenige gibt es, die so etwas so glaubhaft und vollkommen unverkitscht erzählen können wie Uli Hoeneß. Aber andererseits war es dieser Hoeneß, der vor nicht langer Zeit über seinen ehemaligen Spieler Juan Bernat gesagt hat, der habe "einen Scheißdreck" zusammengekickt, bei Mesut Özil war die Diagnose kürzer: "Dreck". Nicht, dass so eine Beschimpfung einen jungen Menschen in die Krise stürzen würde, so simpel ist es nicht. Trotzdem fragt man sich, wie ein so fürsorglicher Mann wie Hoeneß gleichzeitig so rüde sein kann.

Aber: "Der Fußball ist so, und die werden sich nie mit Wattebällchen beschmeißen", hat Teresa Enke gesagt. Vom Publikum gab es später für sie eine Standing Ovation.

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Quelle:
SZ vom 06.11.2019
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