Süddeutsche Zeitung

Wolfsburg:Gegen die Meinungshoheit

Lesezeit: 3 min

Bruno Labbadia relativiert die Krise des nächsten Wolfsburger Gegners FC Bayern - und lobt seine ebenfalls zuletzt erfolglose Mannschaft für ihren mutigen Fußball.

Von Javier Cáceres, Wolfsburg

In den vergangenen Tagen hat Bruno Labbadia, der Trainer des VfL Wolfsburg, viel Zeit vor dem Fernseher zugebracht und sich all die Spiele angeschaut, die im Land den Eindruck entstehen ließen, dass der FC Bayern München, der seit Jahren nicht nur Rekordmeister ist, sondern stets auch als designierter Champion eingestuft wird, gerade angeknockt ist. Sich also in der Krise befindet.

In der Tat: Am Samstag, wenn Wolfsburg die Bayern empfängt und erstmals seit dem Relegationsspiel gegen Holstein Kiel im Mai wieder ein ausverkauftes Stadion melden kann, dann werden vier Wochen und ein Tag seit einem Münchner Bundesliga-Sieg vergangen sein. Dem 3:0 gegen den FC Schalke folgten vier Partien ohne Sieg, darunter zwei Niederlagen ohne eigenen Torerfolg, eine davon die fast surreale 0:3-Pleite gegen Borussia Mönchengladbach. Danach gab es Bayern-Gesichter beim Oktoberfest, die länger waren als die von Security-Sheriffs, die zu vorgerückter Stunde Festzeltgäste mit gutem Sitzfleisch evakuieren. Und dennoch: Die Analyse der Münchner Pleiten haben Labbadia zum Dissidenten werden lassen.

Der VfL hat auch keinen Grund, sich aufzuplustern - er ist noch länger sieglos als der FC Bayern

"Ich werte die Spiele anders", sagte Labbadia am Donnerstag; es hätten, so meinte er, stets auch besondere Umstände eine Rolle gespielt: nicht zu entziffernde Mysterien, "außergewöhnliche Dinge", die zwischen Oder und Rhein, zwischen Tegernsee und Schleswig-Holstein weitgehend übersehen worden seien. Gegen Gladbach etwa hätte sich nach dem starken Beginn der Bayern die Frage aufgedrängt, mit wie vielen Toren sie die Gladbacher aus der Arena schießen würden. Gladbach kam insgesamt auf 30 Prozent Ballbesitz, Labbadia zitierte seinen Borussia-Trainerkollegen Dieter Hecking dahingehend, dass dessen Plan "überhaupt nicht aufgegangen" sei - und doch schoss Gladbach drei Tore.

Was daraus folge? "Wir dürfen uns nicht beeinflussen lassen von dem, was bei den Bayern passiert", sagte Labbadia, als er mit streng zurückgekämmten Haaren und im Trainingsoutfit im Pressesaal der Wolfsbuger Arena saß.

Dass Labbadia den Menschen mit der Diskurshoheit der Republik widersprach und sich auch nicht als Krisengewinnler in spe gerieren wollte, dürfte auch damit zu tun haben, dass sein VfL wenige Gründe hat, sich aufzuplustern: Der Bayern-Jäger a. D. ist den Münchnern in der Sparte Sieglosigkeit sogar gerade überlegen: Den bislang letzten Dreier landete der VfL am zweiten Spieltag; ein Testspiel gegen den Zweitligisten 1. FC Magdeburg endete dieser Tage 1:1. Doch auch diese Ergebnisse spiegelten - wie bei den Bayern - nur einen Ausschnitt der Realität wider, sagte Labbadia: "Wir hätten in den meisten Spielen das Resultat besser gestalten können."

Es seien vielmehr Entwicklungen zu beachten gewesen, die "erstaunlich schnell" vonstatten gegangen seien - so schnell, dass sie den Coach verblüfften: "Zuletzt waren wir nach Bayern (69 Prozent) die Mannschaft mit dem meisten Ballbesitz (58 Prozent). Das konnte man überhaupt nicht erwarten." Seine Mannschaft habe immer wieder "mutig von hinten herausgespielt" und versucht, das Spiel geduldig aufzubauen, "das war, als ich gekommen bin, gar nicht da". Erst mit der neuen Saison habe er überhaupt damit anfangen können, daran zu arbeiten; nach seinem Amtsantritt im Februar sei es ja nur darum gegangen: "Wie überleben wir die Liga?"

Auch in Sachen Zweikampfwerte ist Wolfsburgs unter den Top 3 der Liga, Labbadia rühmt zudem "die Art und Weise, wie wir mit Widerständen zurecht gekommen sind" und Rückstände aufgeholt habe. Dem stehe entgegen, dass sein Team bei der Exegese der Spiele auch mal daneben liege: Sehr gute Mannschaften wüssten genau, was in bestimmten Momenten gefragt sei. Zum Beispiel, wann es geboten ist, auf den Ball zu treten und das Spiel zu beruhigen, wann man kompakter oder auch tiefer stehen sollte, wann man im gegnerischem Aufwind "cool" bleibt - oder wann man das Tempo verschärft.

Solche Fragen müssten vor allem die Spieler auf dem Platz beantworten: "Das kann man nicht komplett von außen steuern." Umso schwerer wiegt für Labbadia, dass gegen den FC Bayern ausgerechnet die beiden "Sechser", die das Spiel kanalisieren sollen und über die größte Erfahrung verfügen, verletzt ausfallen: Josuha Guilavogui, der gerade erst ins Training zurückgekehrt ist, und der neuerlich verletzte Ignacio Camacho stehen nicht zur Verfügung: "Das sind zwei Spieler, die ich sehr gerne im Kader hätte."

In welcher Verfassung Marcel Tisserand und John Anthony Brooks von ihren Länderspielreisen zurückgekehrt sind, war am Donnerstag noch nicht absehbar. Gleichwohl gehe sein Team "mit einer gewissen Freude ins Spiel". Labbadia selbst hat als Coach zwölf seiner 13 Bundesligaspiele gegen den FC Bayern verloren, sein einziger Sieg datiert von 2009. Aber Hertha und Gladbach hätten bewiesen: "Die Bayern sind zu schlagen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4176208
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.