Süddeutsche Zeitung

WM-Qualifikation:In Hamburg erwacht eine neue Euphorie

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Die DFB-Elf und Hamburg, das war einst schwierig. Gegen Tschechien erleben die Nationalspieler endlich wieder Stimmung - Mats Hummels spricht eine Adelung aus.

Von Carsten Scheele, Hamburg

Vielleicht hatte Mats Hummels die Hamburger nur falsch eingeschätzt. Ein kleines Lob hätte ja genügt, und alle wären zufrieden in Richtung S-Bahn gestiefelt und danach ab nach Hause gebraust. Das Länderspielpublikum sei "super" gewesen, die Stimmung "sehr gut", hätte Hummels also wahrheitsgemäß erklären können.

Doch das genügte dem Münchner nicht, er wollte die komplette Klaviatur spielen. Niemand zwang ihn dazu, er wurde auch nicht mit Fragen in diese oder jene Richtung gedrängt. Aus völlig freien Stücken erklärte Hummels: "Man hatte den Eindruck, dass der Funke so richtig übergesprungen ist." Deshalb schaffe es das 3:0 am Samstagabend gegen Tschechien auch unter die "Top drei der Heimländerspiele, vielleicht sogar noch besser", was sich recht einfach übersetzen ließ: Bessere Stimmung kann sich einer wie Mats Hummels für ein DFB-Heimspiel gar nicht vorstellen.

Das war eine gewaltige Adelung, gemessen vor allem an den vorherigen Auftritten der DFB-Elf in der Stadt. Hamburg galt gemeinhin als ungünstiges Pflaster, hier verlor die Elf der Bundesrepublik bei der WM 1974 gegen die DDR, hier schied sie bei der Heim-EM 1988 im Halbfinale gegen die Niederlande aus. Und dann war da noch jenes unrühmliche Testspiel vor der WM 2014, das unter Einsatz von zwölf Länderspiel-Debütanten und Kapitän Julian Draxler zum 0:0 gegen Polen geriet, als manche Zuschauer zur Halbzeit die Arena verließen, weil sie sich von Löws Aufstellung gering geschätzt fühlten.

Laola wogt minutenlang durchs Stadion

All dies war gegen die Tschechen vergessen. Natürlich fielen die Tore auch zu der richtigen Zeitpunkten, um die Stimmung anschwellen zu lassen, in der Anfangsviertelstunde durch Thomas Müller, kurz nach der Pause durch Toni Kroos. Am Ende war der Gegner so platt, dass der Ball noch besser lief in den deutschen Reihen als zuvor. Trotzdem ist es ungewöhnlich für Heim-Länderspiele, die von Teilen der Fanschaft häufig als Familien-Mitklatsch-Events kritisiert werden, dass die Laola minutenlang durchs Stadion wogt, gelungene Aktionen auf dem Rasen mit Verzückungsschreien auf den Tribünen quittiert werden.

"Kompliment an die Fans, die Stimmung war sehr gut", lobte da auch Thomas Müller, der Doppeltorschütze. "Gewissermaßen eine Versöhnung" mit der Stadt Hamburg hatte sogar Kapitän Manuel Neuer wahrgenommen, wobei der Torwart allerdings so grinste, dass man nicht genau wusste, ob er das nun ernst meinte oder die gesamte Debatte nur für übertrieben hielt.

Schon lange nichts mehr zu bejubeln

Vielleicht steckte hinter all dem aber auch nur ein listiger Plan der DFB-Führung. Die Art und Weise, wie das Führungstor durch Müller bejubelt wurde - nämlich seeeehr laut, fast schon frenetisch - ließ den Schluss vermuten, dass die Hamburger Fans schon lange nichts mehr zu bejubeln hatten, wie auch, wenn der HSV und St. Pauli in ihren Ligen aktuell Letzte sind. Werden Länderspiele deshalb künftig häufiger in Regionen verlegt, die von Spitzenfußball schon lange nicht mehr geküsst wurden?

Dazu passt, dass die DFB-Elf am Dienstag in Hannover auf Nordirland trifft - in einer Stadt, die seit kurzem nur noch Zweitligagekicke zu sehen bekommt. Als Austragungsorte für künftige Länderspiele böten sich etwa Rostock oder Saarbrücken an.

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