Süddeutsche Zeitung

WM-Pokal:6,175 Kilo Gold und unendlich viel Gefühl

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Anfassen dürfen den WM-Pokal nur Weltmeister und Staatschefs, er wurde bereits zweimal gestohlen und die Gewinner dürfen nur eine Kopie mitnehmen: die Geschichte der berühmtesten Trophäe der Welt.

Von Henning Klüver, Mailand

Das Objekt der Begierde stammt aus Italien, aus Mailand, der Welthauptstadt des Designs. Es ist innen hohl, 36,8 Zentimeter hoch und wiegt 6,175 Kilogramm. Rund fünf Kilogramm davon sind Gold, 18-karätiges Gold. Den Rest des Gewichts steuert der Sockel bei, der von zwei grünen Malachit-Ringen geziert wird und einen Durchmesser von 13 Zentimetern hat. Seit 1974 tut das gute Stück seinen Dienst. Sein Vorgänger, der Jules-Rimet-Pokal, war gemäß den alten Verbandsstatuten vier Jahre zuvor endgültig in den Besitz des brasilianischen Fußballverbandes gelangt, nachdem die Seleção zum dritten Mal den Titel gewann (1958, 1962, 1970).

Franz Beckenbauer, damals Kapitän der deutschen Elf, durfte dann am 7. Juli 1974 als erster Spieler der Welt im Münchner Olympiastadion nach dem Finalsieg gegen die Niederlande Hand an die neue Trophäe legen. Auch das Statut wurde geändert. Der neue WM-Pokal soll so lange im Rennen bleiben, so lange sich Platz findet, den Namen des Gewinnerlandes auf die Unterseite zu gravieren - also mindestens bis zum Jahr 2038.

Im Sommer 2014 wurde der Materialwert der Trophäe auf rund 160 000 Euro geschätzt. Doch der Rohstoffpreis ist den Weltmeistern ziemlich egal; auch, dass der "Fifa World Cup" genaugenommen kein Pokal ist, aus dem müsste man nämlich trinken können, sondern eine ziemlich kopflastige Skulptur mit der Erdkugel an der Spitze, die in der Nacht des Triumphes so manchen Männerkuss ertragen muss.

Würden die Spieler im Rausch des Erfolges einmal genau hinschauen, könnten sie sich, symbolisch jedenfalls, selbst erkennen. Denn die WM-Trophäe ist geformt aus zwei spiralförmig sich aufbauenden Körpern, zwei Athleten, die im Jubel die Arme nach oben recken und so die Weltkugel halten, die gleichsam zwischen ihren Händen rotiert. Aber wer hat in solchen Momenten Augen für so etwas?

"Ich wollte der Dynamik des Sports Ausdruck geben. Und die Freude der Sieger zeigen", sagt der Designer Silvio Gazzaniga aus Mailand. Wenn an diesem Sonntag, den 13. Juli, die Trophäe in Rio an den neuen Weltmeister übergeben wird, ist der Mann, der den Titel durch sein Werk symbolisch greifbar macht, ganze 93 Jahre alt.

Die Intention, Dynamik und Freude in Gold zu gießen, sei doch toll umgesetzt, sagt Valentina Losa, die in Mailand das Unternehmen GDE Bertoni leitet, für das Gazzaniga Anfang der Siebzigerjahre als künstlerischer Berater arbeitete. Losas Urgroßvater hatte einst in der Mailänder Innenstadt eine Werkstatt für Medaillons und Heiligendarstellungen geführt, der Großvater machte daraus ein richtiges Unternehmen, das 1960 die Medaillen für die Olympischen Spiele in Rom produzierte. Zehn Jahre später beteiligte sich der Vater mit Gazzanigas Modell an der Ausschreibung des Fußball-Weltverbandes Fifa für die neue WM-Trophäe - und gewann.

Seither kommt die Trophäe regelmäßig zu Restaurierungsarbeiten zurück in die kleine Fabrikhalle, die zwischen der nördlicher Stadtgrenze Mailands und der Autobahnumgehung im Weiler Paderno Dugnano liegt. Dort, wo sich die Wirtschaftskraft der Lombardei mit löchrigen Straßen und rostigen Metallzäunen hinter der Hässlichkeit von Industriezonen versteckt, während in der Innenstadt neue, glasglitzernde Wolkenkratzer und moderne Platzanlagen das Image der Finanzmetropole aufpolieren.

Doch davon ist in Paderno nichts zu spüren, dafür glitzern im Showroom von GDE Bertoni die Kopien von Pokalen: der Silberpott der Champions League mit seinen Riesenhenkeln; das langstielige, blumentopfartige Gefäß der Europa League; dazu Europas Supercup, der Pokal der Afrikameisterschaft und Trophäen aus diversen anderen Sportarten - die Vitrinen sind gut gefüllt.

Die Liste der in Paderno gefertigten Trophäen kann man, wie die Vitrinen zeigen, noch lange fortsetzen, darunter gehören neuerdings ebenso Trophäen für den arabischen Raum. "Ja, das haben wir alles hier gemacht", lacht Valentina Losa hinter ihrer großen dunklen Designerbrille. Bis auf wenige - wie den mächtigen Silbertopf der Champions League, den Schweizer Künstler entwickelt haben - wurden sie sogar hier gestaltet.

Der WM-Pokal spielt natürlich die Starrolle in der Firmengeschichte von GDE Bertoni, wie auch ein Foto von Franz Beckenbauer (mit Widmung) in Siegerpose von 1974 zeigt, das zwischen den Vitrinen hängt. Liebevoll wie ein Kind nimmt die Chefin die ausgestellte Kopie kurz in den Arm. Das Original dürfen gemäß Verbandsvorschriften nur echte Fußball-Weltmeister und Staatsoberhäupter anfassen. Wenn Fifa-Mitarbeiter das Stück mit gebotener Vorsicht transportieren, müssen sie dabei Handschuhe tragen.

Als ihr Vater noch lebte, musste das Original des Weltmeisterpokals im Jahr 2005 generalüberholt werden, nachdem Teile der Malachit-Ringe brüchig und der Goldglanz stumpf geworden waren. Seitdem leuchtet er wieder wie zu alten Zeiten. Aber seitdem hat der Fußball-Weltverband auch die ursprüngliche Regel geändert, dass das Original vier Jahre lang im Besitz des amtierenden Weltmeisters bleibt, der dann anschließend eine vergoldete Kopie erhält. Jetzt wird die Trophäe zwar zur Siegerehrung überreicht, mit nach Hause nehmen die Gewinner jedoch eine Kopie, die sie behalten dürfen.

Auch die wird natürlich in Paderno im Wachsausschmelzverfahren hergestellt und elektrochemisch vergoldet. Das Original kommt derweil nach Zürich in einen Tresor und wird nur bei besonderen Gelegenheiten gezeigt. Denn der Fifa steht noch immer vor Augen, wie der Jules-Rimet-Pokal dem stolzen brasilianischen Verband abhanden kam.

Nachdem er im Vorfeld der WM 1966 in England bereits gestohlen, aber von einem Hund namens Pickles beim Gassigehen in einem Londoner Vorgarten vergraben wieder aufgestöbert wurde, kam er 1983 endgültig abhanden. Diebe schmolzen die Trophäe ein, wie sie bei der Festnahme zugaben, nachdem sie sie aus der Verbandszentrale in Rio de Janeiro geklaut hatten. An dem Ort, an dem die deutsche Fußball-Nationalelf es am Sonntag auf das neue Goldstück abgesehen hat.

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Quelle:
SZ vom 12.07.2014
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