Süddeutsche Zeitung

WM in Hamburg:Rollstuhlbasketball ist die beste Werbung für Inklusion

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Fischer, Hamburg

Kurz vor Schluss standen die Zuschauer auf, sie klatschten, sie kennen das inzwischen: Es war ja schon das vierte Mal in vier Tagen. Seit Donnerstag finden in Hamburg die Weltmeisterschaften im Rollstuhlbasketball statt, viermal haben die deutschen Frauen gespielt, bislang haben sie nur gewonnen; am Sonntag schlugen sie die USA 70:56, den Paralympics-Sieger 2016. Für den Turnierausgang bedeutet das zwar eher wenig, die Spiele gegen Favoriten kommen erst noch. Aber wie die Frauen auf dem Parkett standen und Ovationen aus allen Ecken der vollen Halle empfingen, da waren ihnen schon Glücksgefühle anzusehen. "Wir hatten richtig Lust", sagte Mareike Miller, die 20 Punkte erzielte.

Dass die Frauen bei der WM im Mittelpunkt stehen, als derzeit erfolgreichere von zwei Nationalmannschaften, ist durchaus besonders. In ihrem Rollstuhlbasketball-Alltag stehen sie nämlich eher im Schatten der Männer. Im Rollstuhlbasketball spielen ja nicht nur Menschen mit verschiedenen oder gar keinen Behinderungen zusammen, in der Liga spielen auch Männer und Frauen zusammen. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal des Sports, es ist die beste Werbung für Inklusion. Doch bei den Frauen hat es auch Auswirkungen auf das Spiel in der Nationalmannschaft. Ihre Rollen im Verein sind oft ganz andere.

Es sind eher nicht ihre Lieblingsrollen.

Miller zum Beispiel spielt für Deutschland unter dem Korb, sie ist in der Mannschaft unangefochten, wahrscheinlich eine der besten Spielerinnen der Welt. Doch würde sie auch im Verein als Center spielen wollen, dann müsse sie in die zweite Liga wechseln, sagt sie - und würde dort kein Geld verdienen können. In der ersten Liga, bei den BG Baskets in Hamburg, spielt sie meistens auf dem Flügel. "Wir haben viele Spielerinnen, die in der Liga dafür da sind, um viel für die Männer zu arbeiten. Die sehen nicht so oft den Ball", sagt die Münchnerin Katharina Lang.

Gerade die stärker eingeschränkten, mit niedrigeren Punktzahlen klassifizierten Spielerinnen haben es schwer. In einem Team, das in der Liga 14,5 Klassifizierungspunkte zählen darf, bekommen Frauen eineinhalb Extrapunkte gutgeschrieben - und übernehmen entsprechend andere Aufgaben auf dem Feld. Sie fahren viele Wege, sichern Mitspieler ab, blocken sie frei. Es ist ein wenig so, als würden Fußballer im Verein meistens verteidigen - und für ihr Land die Tore schießen und entscheidenden Pässe spielen müssen. "Sie müssen hier Verantwortung übernehmen. Und die dürfen sie in den gemischten Mannschaften nicht immer übernehmen", sagt Bundestrainer Martin Otto.

Otto, 55, ist seit Jahrzehnten Frauen-Basketballtrainer im Nachwuchsbereich. Seit Ende der Achtzigerjahre ist er im Rollstuhlbasketball aktiv, er besuchte ein Turnier als Schiedsrichter und war sofort begeistert vom inklusiven Charakter der Sportart. Seit 2017 ist er Bundestrainer der Frauen. Er muss einen Umbruch moderieren, weil wichtige Spielerinnen aufhörten. Und plötzlich war es eher ein Problem, dass seine Spielerinnen zur Minderheit in Männerteams gehören. "Für mich war es anfangs sehr frustrierend", sagt er.

Mareike Miller geht im richtigen Leben zu Fuß

Nun ist es natürlich nicht so, dass die Nationalspielerinnen in ihren Vereinen Nebenrollen einnehmen. Miller und Marina Mohnen aus Wiesbaden, die am Sonntag phasenweise die amerikanische Verteidigung allein schwindlig spielten, gehörten in der vergangenen Bundesligasaison zu den besten 50 Scorern, auch die anderen kommen auf viel Spielzeit, übernehmen wichtige Aufgaben. Trotzdem sagt Miller: "Die Damen gehen einfach unter."

Sie ärgert sich auch über die deutsche Sportförderung. Im Vergleich mit der internationalen Spitze bekommen Männer und Frauen wenig, von der Sporthilfe erhalten sie einen niedrigen dreistelligen Betrag. Die Niederlande, bei den Frauen der WM-Favorit, zahlen eine niedrige vierstellige Summe. Allein vom Gehalt haben die Frauen es im Vergleich mit männlichen Spitzenspielern schwer, vom Sport zu leben. Miller, 28, die im Leben zu Fuß geht, aber nach mehreren Kreuzbandrissen mit dem Rollstuhlbasketball begann, arbeitet in Teilzeit. Sie sagt: "Es funktioniert nur, weil wir viele Studentinnen haben."

Lang, 25, im Nationalteam Ergänzungsspielerin, geht aufs College in Alabama/USA. Dort gibt es auch eine eigene Frauenliga. Lang sagt, sie entwickle sich sportlich weiter, als Center, im täglichen Training mit Frauen. Auch Miller hatte mal so ein Stipendium. Eine eigene Liga für die Frauen ist in Deutschland unrealistisch. Sie wäre aber auch nicht wünschenswert, sagt Otto. Es würde viel vom Wesen des Sports nehmen. Und Otto findet: "Es ist die beste Challenge." In einer Liga mit anderen Frauen wären die besten Spielerinnen physisch wohl kaum derart gefordert wie im Spiel gegen Männer. Beide Argumente zusammen wiegen viel schwerer als alle Probleme.

Die Lösung muss also eine kreative sein: Seit 2016 nimmt ein Frauenteam der München Iguanas am Spielbetrieb der Regionalliga teil, das "Team Germany Iguanas". Zur nächsten Saison kommt in Osnabrück eine zweite Mannschaft dazu, das hat der Verband gerade beschlossen. Das Konzept sieht vor, dass 45 Nationalspielerinnen eine Doppellizenz bekommen, sie können weiter für ihren Verein antreten, aber immer mal wieder in unteren Ligen ihre stärkere Position spielen, als eine Art Lehrgang. Am Ende der Saison werden die Mannschaften aus der Wertung genommen. In Osnabrück wird Miller als Center spielen. Sie hält das für eine gute Lösung.

In diesen Tagen denkt sie aber nicht zu oft daran, die Frauen stehen ja ohnehin im Mittelpunkt. Sie sprechen zwar nicht vom Finale, aber sie träumen davon. Und damit das klar ist, sagt Miller: Das wünschen sie natürlich auch den Männern.

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SZ vom 20.08.2018
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