Süddeutsche Zeitung

WM-Bilanz der deutschen Schwimmer:Diagnose: zu wenig Training

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Nur eine einzige Medaille haben die deutschen Beckenschwimmer bei der WM in Barcelona gewonnen, die meisten tauchten unter ihrem Potenzial hinweg. Die Konsequenz muss nun lauten, mehr zu trainieren. Doch das ist einfacher festgestellt als umgesetzt.

Ein Kommentar von Claudio Catuogno

Die deutschen Schwimmer waren in Barcelona kaum wiederzuerkennen, und das war zweifellos so gewollt. Statt Rot oder Schwarz, wie bei Olympia 2012 in London, trugen sie diesmal T-Shirts in grellem Grün. Grün ist bekanntlich nicht nur die Farbe der Frösche, sondern auch die Farbe der Hoffnung, letzteres war bei der Wahl der sinnstiftende Hintergrund. Nach den Null-Medaillen-Spielen sollte die WM für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) ein Neuanfang werden.

Der Erfolg ist nicht von der Hand zu weisen. "Die Leute halten uns jetzt für Iren", hat ein Mitglied der Nationalmannschaft in Barcelona erzählt.

Und sonst? Hat doch einiges wieder an die Tristesse des vergangenen Sommers erinnert. Nicht nur, wenn man den Medaillenspiegel heranzieht, den der DSV wieder fast ausschließlich aus der Nische heraus bestückt: mit Erfolgen der Freiwasserschwimmer (sechs Medaillen) sowie der Turm- und Klippenspringer (drei). Auch der individualisierte Blick in die Ergebnislisten fördert bei den Beckenschwimmern Bedenkliches zutage: Weit weniger als die Hälfte der DSV-Starter konnte in Barcelona die Zeiten von den deutschen Meisterschaften im April bestätigen. Man muss die deutschen Schwimmer also gar nicht mit Amerikanern, Australiern oder Franzosen vergleichen, sondern nur mit sich selbst, um festzustellen: Die meisten sind auch bei der WM wieder unter ihrem Potenzial hinweggetaucht.

Bei der Ursachenforschung wirken die Trainer zunehmend wie eine Projekt- gruppe, die Jahr für Jahr Hypothesen aufstellt - und sie dann bei nächster Gelegenheit wieder relativieren muss. Nach der WM 2011 in Shanghai hieß es, der Abstand zwischen Qualifikation und Großereignis sei trainingsmethodischer Wahnsinn gewesen, aber leider vom Fernsehen so diktiert worden.

Nach Olympia 2012 wurden die strengen Normen entschärft, um die Athleten nicht schon bei der Qualifikation "auszuquetschen". Nun vermutet der neue Chef-Bundestrainer Henning Lambertz, dass es auf Zeitabstände oder Normen vielleicht gar nicht so ankomme. Offenbar sei das Trainingsniveau der Deutschen schlicht zu niedrig.

Mehr trainieren, das ist wohl die einfachste und die schwierigste Schlussfolgerung zugleich. Zumal in einem Sport, der weltweit betrieben wird, und in dem anderswo oft schon im frühen Teenager-Alter die Grundlagen gelegt werden, um dann mit 15 oder 16 Weltrekorde zu pulverisieren.

In klassischen Schwimm-Nationen wie Australien oder im College-Sport-Land USA wird diese Leistungssport-Fokussierung nicht hinterfragt, in China sowieso nicht. In Deutschland würden Schwimm-Eltern und Schwimm-Kinder aber schon gerne wissen: wofür der Aufwand? Um dann bei einer WM womöglich Neunter zu werden statt 17.? Zumal, wenn man so wenig darüber weiß, wie sauber das Weltschwimmen tatsächlich ist?

Wer sich als deutscher Schwimmer nicht der Bundeswehr-Fördergruppe anschließt, ist zwischen den Trainingseinheiten mit Schule, Studium oder Berufsausbildung beschäftigt. Da ließe sich manches sicher sportkompatibler organisieren. Echte Profi-Schwimmer werden in Deutschland aber auch in Zukunft die Ausnahme bleiben.

Es sind daher die kleinen Schritte, die nun nötig sind - und allem Anschein nach führen sie bereits in die richtige Richtung. So hat Henning Lambertz wieder eine Atmosphäre geschaffen, die Ehrgeiz mit Freude am Sport verbindet. Als nächstes will er den Übergang vom Jugend- in den Erwachsenen-Bereich erleichtern, damit die wenigen Talente nicht weiterhin zwischen Jugend-WM und richtiger WM ins Perspektiv-Loch fallen. Dass die EM 2014 in Berlin stattfindet, dürfte einen Schub auslösen. Dass bei der WM 2015 in Kasan dann alles anders wird, muss aber niemand erwarten.

Das belegt schon eine einfache Hochrechnung: Hätten alle DSV-Schwimmer in Barcelona ihre Zeiten von den deutschen Meisterschaften geschwommen, wie viele Medaillen hätte das dem DSV dann gebracht? Zwei. Nur eine mehr, als seine Beckenschwimmer letztlich gewonnen haben. Und das war ja immerhin: eine mehr als Irland.

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SZ vom 05.08.2013
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