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Wintersport: Skispringen:Gefährliche Revolution

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Die Windlotterie bei der Vierschanzentournee ist nicht ausschließlich eine Sache der Natur. Auch die Skisprung-Manager könnten mehr tun, um ihre Sportart wetterfester zu machen.

Thomas Hahn

Immerhin hat Österreichs Pop-Skispringer Gregor Schlierenzauer dann noch etwas gesagt, obwohl der gerade ganz andere Sorgen hat. Einen Innenbandeinriss im Knie hat er überstanden, davor sprang er so weit hinterher wie noch nie in seiner Weltcup-Karriere und in der Qualifikation zum Innsbrucker Bergiselspringen, der dritten Station der Vierschanzentournee, hat er ein mäßiges Comeback gegeben.

Aber Gregor Schlierenzauer hat eben gerade das Windtheater von Partenkirchen als Zuschauer erlebt und dabei einen Eindruck davon bekommen, wie schlecht sein Sport aussieht, wenn er lauter taumelnde Männer inszeniert. Also klagt er: Der Einfluss des Fernsehens sei zu groß, die Springer hätten zu wenig zu sagen. Er selbst zum Beispiel hätte für Neujahr empfohlen: "Vielleicht kann man zwei Stunden früher anfangen."

Es ist ein bisschen billig, aufs Fernsehen einzuprügeln, wenn ein Wettkampf misslingt. Für ein Zuschauerereignis wäre es schließlich auch ohne Fernsehen nicht sehr praktisch, wenn es sein Programm je nach Wetterlage spontan ändert. Trotzdem hat Schlierenzauer etwas Wahres ausgesprochen: Springerfeindliche Windverhältnisse sind an manchen Orten und Tagen tatsächlich eine Frage der Tageszeit, darauf nimmt der Weltskiverband Fis mit Blick auf die TV-Bedürfnisse keine Rücksicht.

Im Zusammenhang mit dem kaputtgeblasenen Neujahrswettkampf ist auch sonst aufgefallen, dass die Skisprung-Manager etwas mehr dafür tun könnten, ihren Fernsehsport wetterfester zu machen. Eine Freiluftübung habe keine Chance gegen die Elemente, heißt es, und das stimmt natürlich - trotzdem dürften die Skisprungplaner ihr Bewusstsein dafür schärfen, was wann wie wirkt.

Zum Beispiel beim Schanzenbau: Der neue Olympiabakken in Garmisch-Partenkirchen besticht durch seine Eleganz, allerdings steht er so hoch über dem schützenden Bergwald, als seien Böen die natürlichen Freunde des Schanzentisches.

Vor allem aber geht es ums Material. Wegen neuer Technologien und Vorschriften ist es mit den Jahren immer windanfälliger geworden, und die jüngste Material-Revolution hat die Lage noch verschärft. Durch die Bindungen, die seit der Olympia-Saison Standard sind, und durch deren aerodynamische Effekte reagieren die Flugsysteme der Springer sensibler denn je auf wechselnde Luftkräfte.

Es wäre eine schöne Aufgabe für die Fis, ihre Materialregeln so zu überdenken, dass Skispringer wenigstens etwas stabiler fliegen, wenn die Natur sich ihr Recht nimmt.

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Quelle:
SZ vom 03.01.2011
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