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Wintersport:Die Kraft der Zweifel

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Lotterie bei den Rodlern, Verletzungspech bei den Alpinen, Lust bei einem prominenten nordischen Kombinierer: Das erste Wintersport-Wochenende des neuen Jahres festigt diverse Trends.

Von Johannes Knuth

Mariama Jamanka war im vergangenen Sommer oft als Öffentlichkeitsarbeiterin unterwegs, "so um die 50" Werbe- und Pressetermine habe sie hinter sich gebracht. Das ist außergewöhnlich für eine Bobfahrerin, aber so ist das nun mal, wenn man aus dem Bob-fernen Berlin stammt, erst seit drei Jahren an den Lenkseilen hockt und sich für den ersten Sieg im Profibetrieb gleich mal die außergewöhnlichste Prüfung ausgesucht hat: die olympische im vergangenen Februar. Jamanka konnte zuletzt also noch so viel beschwichtigen, sie zog als Favoritin in den neuen Winter, und so war schon die Frage, ob sie nach all dem Rummel die Konzentration für den Alltag aufbringen kann. Bislang muss man sagen: Sie kann. In Altenberg gewann sie mit Anschieberin Annika Drazek ihren zweiten Weltcup, baute die Führung in der Gesamtwertung aus. Auch Francesco Friedrich gewann auf der vertrauten Bahn im Erzgebirge im Zweierbob, am Sonntag dazu im Vierer, weshalb bislang alle Siege dieses Winters im Vierer, Zweier und bei den Frauen in den Besitz des deutschen Bob- und Schlittenverbands gewandert sind. Nicht schlecht, auch mit Blick auf die WM im März. Wobei das im Verband niemanden zu Träumereien verleitet. "Ich bin eine Grüblerin", hatte Jamanka vor dem Winter gesagt, "ich tüftle viel, bin nie zufrieden, bin eher ein chronisch unsicherer Mensch." Was bei all den Materialtüfteleien im Schlittensport ja durchaus helfen kann. Jamankas große Stärke scheint weiter die Kraft der Zweifel zu sein. Wie schon bei Olympia.

Glück beim Würfeln

Wenn nach einem Weltcup vor allem von den äußeren Bedingungen die Rede ist, ist das meist kein ganz so gutes Zeichen. Am Königssee, beim Weltcup der Rennrodler, schneite es am Wochenende so kräftig wie überall in den Alpenregionen, und weil sich der nasse Schnee unaufhörlich in die Fahrrinne legte, hatte der Winterdienst an der Bahn so seine Mühe. "Man hätte die Reihenfolge auch würfeln können", sagte Natalie Geisenberger, die diesmal Zweite wurde auf jener Strecke, auf der sie zuletzt vor sieben Jahren nicht gewonnen hatte. Die deutsche Olympiasiegerin war dafür "froh", dass zumindest ihre Teamkollegin Julia Taubitz das Glück hatte, eine halbwegs geräumte Bahn vorzufinden. Die 22-Jährige sicherte sich ihren zweiten Saisonsieg, der ein "sehr überraschender und schöner" war - der aber auch vom Unfall der Russin Wiktoria Demtschenko überschattet wurde. Die Tochter des früheren Weltklasserodlers Albert Demtschenko wurde vom Schlitten geschleudert, erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma, war laut ersten Berichten aber in einem stabilen Zustand. Die weiteren Rennen standen ebenfalls im Zeichen des Wintereinbruchs: Die Doppelsitzer Tobias Wendl/Tobias Arlt unterlagen überraschend ihren Teamkollegen Toni Eggert/Sascha Benecken, die Männer bekamen nur einen Durchgang durch, den der Österreicher Reinhard Egger gewann - Sebastian Bley wurde als bester Deutscher Dritter, Felix Loch Zehnter. Was die insgesamt guten Aussichten für die WM Ende Januar in Winterberg aber kaum trübt. Dann hoffentlich ohne Würfeln.

Wie ausgewechselt

Wer am Wochenende in der kroatischen Hauptstadt weilte, mag vielleicht die eine oder andere Vermisstenanzeige bemerkt haben. Gesucht wurde eine gewisse Christina Geiger, 28, Slalomexpertin des SC Oberstdorf. Denn es war ja so: Die Christina Geiger der vergangenen Monate und Jahre war zwischen dem ersten und zweiten Durchgang in Zagreb urplötzlich verschwunden. Dafür war im zweiten Lauf eine andere Geiger anwesend. Die fuhr nicht nur technisch sauber, so wie ihre Vorgängerin, sie fuhr couragiert, verlor auch mal fast die Kontrolle, fing sich aber wieder, balancierte ab und zu sogar ein bisschen an der Grenze des Machbaren. Das sah nicht nur gut aus, es war auch sehr schnell. Fünfte wurde Geiger beim Sieg der Amerikanerin Mikaela Shiffrin, es war ihr bester Ertrag im Weltcup seit sechs Jahren. Wolfgang Maier, der deutsche Alpinchef, attestierte Geiger dann auch eine "sehr engagierte Fahrt", zu Festumzügen wollte im deutschen Lager aber niemand aufrufen. Geiger hatte in den vergangenen sechs Jahren ja immer mal wieder gute Ergebnisse angeboten, "als wir gedacht haben, jetzt kommt der Kick nach vorne", erinnerte sich Maier. Der kam dann aber nicht. Mal waren es Verletzungen, mal legte Geiger eine hartnäckige Zurückhaltung an den Tag, was sie im Verband auch deshalb irritierte, weil sie um das große Potenzial der Juniorenweltmeisterin von 2010 wussten.

Und nun? Geiger hatte zuletzt schon anschwellende Form bewiesen, sie ist jetzt für die WM im Februar qualifiziert, die kleine deutsche Frauen-Auswahl kann eine weitere Spitzenkraft dort durchaus gebrauchen. Der nächste Slalom findet bereits am Dienstag in Flachau statt. Mal schauen, welche Geiger dort am Start steht.

Plötzlich Kreuzbandriss

Mit Verletzungen in allen Formen, Farben und Geschmacksrichtungen kennen sie sich im alpinen Ski-Weltcup durchaus aus, auch die Deutschen haben in den vergangenen Jahren verlässlich ihren Beitrag zur Verletztenstatistik entrichtet. Aber ein Kreuzbandriss, den man erst mit ein paar Tagen Verspätung diagnostiziert?

Andreas Sander hatte vor einer Woche, im zweiten Training für die Weltcup-Abfahrt in Bormio "etwas im Knie gespürt". Die Betreuer legten ihm einen Tape-Verband an, und Sander fühlte sich bei den folgenden Rennen auch gar "nicht schlecht". Er wurde sogar 14. im Super-G, im Training am vergangenen Freitag war das komische Gefühl dann aber wieder zurück. Und dann: Kreuzbandriss im rechten Knie. "Sehr schockierend und überraschend für mich", teilte Sander mit, und das galt nicht nur für ihn. Thomas Dreßen, der Kitzbühel-Sieger, hatte Anfang Dezember die gleiche Diagnose erhalten; in Sander fällt nun auch die Konstante der vergangenen Jahre im aufstrebenden deutschen Abfahrtsteam aus, für den Rest des Winters. "Die großen Ziele, die wir hatten, sind zunichte", sagte Alpinchef Wolfgang Maier am Sonntag mit Blick auf die schnellen Disziplinen, wobei Josef Ferstl und die zweite Reihe sich zuletzt stark verbessert gezeigt hatten. Wie übrigens auch Felix Neureuther, dem nur noch seine lange Wettkampfpause zu schaffen macht. Der 34-Jährige wurde am Sonntag in Zagreb zunächst von einer kleinen Ausfahrt in den Tiefschnee gebremst, rutschte im zweiten Lauf nach einer soliden Fahrt dann noch auf Rang acht. Sein Rückstand auf Marcel Hirscher, der sich den 64. Sieg im Weltcup sicherte? Betrug noch fast zwei Sekunden.

Glücklich Zweiter

So ein dritter Platz, sagte Johannes Rydzek in Ottepää, sei ja auch schon länger her. Gut, dritte Plätze sind nicht unbedingt der Anspruch eines Nordischen Kombinierers, der bei den Winterspielen im vergangenen Februar zwei Goldmedaillen erwarb, aber die Rede war am Wochenende ja auch von der ersten Übung dieses nordischen Zweikampfs gewesen, dem Skispringen. Und mit dem hatte Rydzek in der jüngeren Vergangenheit eine etwas komplizierte Beziehung geführt. Am Samstag war er in Estland nach einem zahmen Flug noch Zehnter geworden, am Sonntag zeigte er dann "einen richtig coolen Sprung", an den er einen "coolen Lauf" knüpfte und Zweiter wurde. Das alles war nur nicht cool genug, um den Norweger Jarl Magnus Riiber abzufangen. Der 21-Jährige springt derzeit nicht nur überragend, er trägt seine Vorsprünge auch im Laufen verlässlich ins Ziel - was auch ein Grund dafür ist, warum die erfolgsverwöhnten Deutschen in diesem Winter noch auf einen Einzelsieg warten, knapp einen Monat vor der WM in Seefeld. Allerdings dauerte es auch in der vergangenen Saison sehr lange, bis die Auswahl ihre volle Wettkampfhärte erreicht hatte. Dann kamen die Winterspiele - und die eine oder andere Goldmedaille.

Faxen im Ziel

Ingvild Flugstad Östberg war schnell wieder bei Kräften. Sie tätschelte den geschlagenen Konkurrentinnen die Schulter. Hüpfte vor Freude. Half der Russin Natalia Neprjajewa aus der Bindung, die ermattet im Schnee lag. Östberg hatte die quälende letzte Etappe, die 500 Höhenmeter auf die Alpe Cermis, schon knapp drei Minuten zuvor beendet, die Norwegerin konnte es sich also erlauben, im Zielraum die Animateurin zu geben. Johannes Hösflot Kläbo, ihr Landsmann, musste auf derartige Extradienste verzichten; er hatte kurz darauf genug Mühe, seinen Vorsprung auf den Russen Sergej Ustjugow zu verteidigen. 16,7 Sekunden waren am Ende übrig. Die Akteure des Deutschen Skiverbands, die in einem langen Neuaufbau stecken, liefen wie erwartet mit Sicherheitsabstand ein: Dominik Notz beendete die Tour als 13. und sicherte sich damit die WM-Teilnahme, Pia Fink wurde 17. "Wir haben noch Potenzial", sagte Cheftrainer Peter Schlickenrieder, "das ist mir in der derzeitigen Phase am wichtigsten."

Mit Material von sid und dpa

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Quelle:
SZ vom 07.01.2019
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