Süddeutsche Zeitung

Wintersport:Coup des Winters

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Die Snowboarderin Ramona Hofmeister hat den Gesamtweltcup gewonnen. Dabei lief ihre Vorbereitung alles andere als optimal - mal wieder.

Von Anna Dreher

Die größte Sorge von Ramona Hofmeister am Dienstagvormittag galt einem kleinen Koffer. Sie war gerade nach einem langen Flug aus Kanada in München angekommen, stand vor dem Gepäckband und wartete. Das Band bewegte sich gemächlich voran, aber von dem wichtigen Gepäckstück war lange nichts zu sehen. "Ich hätte ihn am liebsten mit an Bord genommen, aber dafür war der Koffer zu groß. Jetzt hoffe ich einfach, dass er den Flug überlebt hat", sagte Hofmeister während des Wartens am Telefon. In ihrer Stimme lag eine Mischung aus Euphorie und Unruhe. "Ich schaue jedenfalls sofort in den Koffer hinein, wenn er auf dem Gepäckband auftaucht."

Um den Koffer selbst ging es Hofmeister ja überhaupt nicht. Viel wichtiger war, was in diesem gut gepolsterten Köfferchen verpackt gewesen ist: die kleine Kristallkugel, mit der die Snowboarderin aus Bischofswiesen am Wochenende für den Gesamtsieg in der Parallel-Riesenslalom-Disziplinwertung ausgezeichnet wurde - vorzeitig und als erste Deutsche. Im Finale des vorletzten Saisonlaufs hatte die 23-Jährige am Samstag in Blue Mountain mit 1,76 Sekunden Vorsprung deutlich gegen Weltmeisterin Selina Jörg (Sonthofen) gewonnen und sich damit uneinholbar an die Spitze des Tableaus gesetzt. "Der Moment oben auf dem Podium mit der Kristallkugel in der Hand war wirklich sehr besonders. Unglaublich, das war meine Traumvorstellung. Ich brauche sicher ein paar Tage, um das zu realisieren", sagte Hofmeister - und rundete ihre Vorstellung am Sonntag ab, indem sie gegen die Russin Sofia Nadyrschina auch das letzte Riesenslalomrennen dieser Saison gewann.

Damit ist Hofmeister diesen Winter ein weiterer, noch viel relevanterer Coup gelungen: Die 8260 Punkte, die sie nun in der Gesamtwertung aus Riesenslalom und Slalom gesammelt hat, kann keine Konkurrentin mehr einholen. Als zweite deutsche Snowboarderin nach Amelie Kober 2009 hat Hofmeister damit auch den Gesamtweltcup gewonnen. "Ich wollte nicht auf die Punkte achten, sondern einfach weiter gut fahren", sagte Hofmeister, noch immer auf den Koffer wartend. "Mir war gar nicht bewusst, dass ich die kleine Kristallkugel am Samstag gewinnen kann. Und als unser Cheftrainer Paul Marks dann noch meinte, dass ich auch bei der großen Kristallkugel uneinholbar vorne liege, habe ich zehn Mal nachgefragt, ob er sich wirklich sicher ist. Ich konnte das gar nicht glauben, da geht wirklich ein Lebenstraum in Erfüllung." Am Sonntag habe sie dann einfach bestätigen wollen, dass sie diese Trophäen auch wirklich verdient habe. Es ist ihr gelungen.

Dass die tschechische Olympiasiegerin Ester Ledecka diesen Winter vor allem bei Ski-Alpin-Rennen startete und nur zwei Mal in Konkurrenz zu Hofmeister fuhr (ein Sieg, ein zweiter Platz hinter Hofmeister): geschenkt. Die diesjährige Saisonleistung Hofmeisters ist vor allem angesichts ihrer jüngsten und gesamten Verletzungshistorie hoch einzuschätzen. Als Anfang Dezember im russischen Bannoye die Weltcup-Saison startete, hatte die bei Wettbewerben stets mit einem Schal im Leopardenmuster um den Hals antretende Hofmeister alles andere als eine optimale Vorbereitung hinter sich. Auf eine Schulter-Operation folgte eine lange Rehabilitations-Phase, erst zwei Monate später als sonst konnte Hofmeister mit dem wirklichen Training einsteigen. Gleich in der ersten Einheit auf dem Brett in einer Skihalle Ende August fiel sie auf die operierte Schulter. Hofmeister hatte viel aufzuholen. "Vielleicht gibt's da ja ein Geheimnis?", hatte Hofmeister lachend im Januar nach vier Weltcupsiegen gesagt, bevor sie wusste, wie erfolgreich ihre Saison noch werden würde. "Ich habe einfach versucht, die wenige Zeit umso besser zu nutzen." Der Erfolg, glaubt sie, komme von ihrer konstant guten Fahrweise und weil das Nationalteam so gut aufgestellt sei. Am wichtigsten aber sei der Kopf. "Und vom Kopf her bin ich eh gut dabei, da war ich schon immer locker und versuche, es zu bleiben. Ich habe mich auch durch die Erfolge nicht rausbringen oder unter Druck setzen lassen."

Eine schräge - wie Hofmeister selbst sagt - Vorbereitungsphase ist die Polizistin gewöhnt. Nachdem sie hinter Ledecka und Jörg die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang gewonnen hatte, plagte sie sich mit einer Handverletzung herum und musste operiert werden. Im September 2018 bremste sie ein Bandscheibenvorfall aus. Es war der zweite nach 2014, die Saison war vorbei, bevor sie losgegangen war. Hinzu kamen Rückenprobleme. Aber stärker aus solchen Phasen herauszukommen kann Hofmeister, das hat sie bewiesen. Die nächsten Ziele sind die WM 2021 und Olympia 2022. "Aber ich bin nicht die große Planerin, ich versuche, alles mitzunehmen und zu genießen", sagt Hofmeister. "Gerade kann ich gar nicht aufhören zu Grinsen."

Nachdem der eigentlich an diesem Wochenende in Moskau stattfindende Weltcup wegen schlechter Schneeverhältnisse abgesagt wurde, stehen zwei Stationen aus: Im italienischen Livigno (10. März) und vor heimischem Publikum in Winterberg (14./15. März) kann sich Hofmeister noch mal zeigen. Ob es für weitere Siege und sogar eine zweite kleine Kugel für den Gesamtsieg im Parallel-Slalom reicht, weiß Ramona Hofmeister natürlich nicht - dass sie noch eine große Trophäe aus Glas überreicht bekommt, hingegen schon.

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SZ vom 04.03.2020
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