Süddeutsche Zeitung

Weltcup-Slalom:Der englische Champion

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In Kitzbühel steht erstmals seit 36 Jahren wieder einer von der Insel auf einem Weltcuppodium: Dave Ryding wird Zweiter im Slalom hinter Marcel Hirscher. Gelernt hat er das Skifahren auf Kunststoffmatten.

Von Johannes Knuth, Kitzbühel

Sieger oder Verlierer? Nach den Regeln seines Sports hatte Dave Ryding gerade verloren. Aber der Brite sah dann doch eher wie ein Champion aus.

Ryding hatte nach dem ersten Lauf beim Slalom von Kitzbühel geführt, zum ersten Mal in seinem Skifahrerleben. Er würde im zweiten Durchgang also als Letzter ins Starthaus kriechen, dort, wo schon manches Selbstvertrauen zusammenschmolz, aber Ryding ließ das kalt. Er traf dann als Zweiter ein, acht Zehntel hinter Marcel Hirscher, und was sollte er schon gegen Österreichs Edelfahrer ausrichten, er, Dave Ryding aus England, dessen bester Ertrag bislang ein sechster Platz gewesen war? Der in einer Skiszene sozialisiert wurde, die zuletzt durch Konrad Bartelski auf einem alpinen Podium vertreten war, vor 36 Jahren? Ryding warf beide Hände in die Luft, heißer Applaus schwappte ins Ziel. "Es fühlt sich an wie ein Sieg", sagte er später, "hoffentlich bin ich nicht der letzte Brite auf einem Podium." Die Geschlagenen gratulierten artig, "er ist ein riiichtig toller Typ", sagte Henrik Kristoffersen, der nach 21 Slaloms mal wieder ausgeschieden war. Felix Neureuther, am Ende Sechster, assistierte: "Wenn man seine Geschichte kennt, ist das schon genial."

Die Geschichte, die geht ungefähr so: Dave Ryding, geboren in Bretherton, zwischen Blackpool und Blackburn. Erste Schwünge im Pendle Ski Club, erste Skirennen im Alter von acht Jahren, auf Kunststoffmatten, die sie aneinandergeklebt hatten. "Ich habe es einfach gemocht", erinnerte er sich. Auch wenn er beim Fahren auf eine grünbraune Ebene blickte, die den Harz in den Stand eines Hochgebirges erhebt. Seine ersten Rennen auf Schnee fuhr Ryding mit zwölf, seine Eltern fuhren öfters in die Skiferien nach Frankreich. Sein Talent verwandelte sich in Können. Er wurde im Schulteam aufgenommen, dann in die nationale Auswahl. Allerdings nur für den Slalom, etwas anderes kannte er nicht. Die Hänge in der Heimat waren zu kurz.

"Er ist einer der besten Techniker", sagt Felix Neureuther, der Platz sechs belegt

Ryding durchlief jetzt die übliche Sozialisation eines Skirennfahrers, Europacup, Weltcup, zähe Jahre im Mittelfeld. Er war älter als die meisten Kollegen, die Gnade der Inselgeburt, aber Ryding machte das mit seinem Arbeitsethos wett, "Einsatz, Opfer, Hingabe". Es sei ein langer Weg gewesen, sagte er in Kitzbühel, "aber ich bin jedes Jahr wiedergekommen." Jetzt, im Alter von 30 Jahren, ist Erntezeit. Ryding wurde im ersten Slalom des Winters in Levi Sechster, nun der zweite Platz in Kitzbühel, auf einem der fiesesten Hänge des Weltcups. Er profitierte früher auch vom heutigen deutschen Abfahrtstrainer Christian Schwaiger, der jahrelang Cheftrainer in Großbritannien war, er hat manches bewegt in der kleinen Szene. Ryding ist ein guter Techniker, "einer der Besten", findet Neureuther, das ist durchaus gewinnbringend auf Hängen wie in Kitzbühel, wo kaum ein Zentimeter deckungsgleich mit dem anderen ist. Ryding ist zudem mental wehrhaft, er ließ sich am Sonntag nie verunsichern, das Handy habe er gleich im Hotel gelassen, sagte er. Apropos Hotel. "Ich glaube, wir haben ein Problem", sagte Ryding, "wir haben noch gar nicht ausgecheckt."

Ryding hat längst ein professionelles Umfeld um sich hochgezogen, aber dass er mit den Besten mithalten könnte, kann man auch nicht sagen. Er beschäftigt bloß einen Servicemann und einen Trainer, "die so hart arbeiten, dass mir nichts wirklich fehlt". Er leidet noch heute unter Olympia 2002, als der Schotte Alain Baxter Bronze im Slalom gewann und ein Nasenspray nahm, das eine verbotene Substanz enthielt. Baxter wurde vom vorsätzlichen Doping freigesprochen, er verlor aber die Medaille, und mit der Förderung im britischen Sport ist es halt so: keine Medaillen, kein Geld. Ryding bezahlt derzeit 29 000 Euro pro Winter, um seinen Beruf ausüben zu können. Er hat ein paar Sponsoren, Skifirmen, eine britische Firma, die Feuermelder fertigt, eine Partnerschaft mit dem Skigebiet Pyhrn-Priel, wo er im Winter lebt. Pyhrn-Priel, das kann zwar kein Brite aussprechen, dafür ist der Flughafen Linz in der Nähe, und die Verbindung nach London ist ganz hervorragend. Man hoffe, teilte das Gebiet vor Kurzem mit, dass man die Zahl der Übernachtungen aus England bald von 600 auf 5000 Buchungen pro Halbjahr steigern könne. Wegen Ryding.

Die anderen? Hirscher zeigte im zweiten Durchgang den wohl besten Lauf des bisherigen Winters, ruckelfrei, als wären die anderen mit Sommerreifen unterwegs. Und Neureuther fahndete weiter nach dem süßen Gefühl, mal wieder zwei Läufe am Limit aufführen zu können. Er fuhr erst "zu passiv", geriet dann Schräglage. "Wenn du so viel Sachen probierst wie wir in den vergangenen Wochen, fehlt dir halt die hundertprozentige Sicherheit", sagte er. Bis zur WM in zwei Wochen werde man aber die meisten Forschungen am Material abschließen. Manchmal, das war sein einziger Trost, muss man einen Schritt zurück gehen, um wieder nach vorne zu kommen.

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SZ vom 23.01.2017
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