Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Siege wie diese

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Die deutschen Volleyballerinnen starten selbstbewusst und mit zwei Erfolgen in die Weltmeisterschaft - ihnen hilft Trainer Vital Heynens ziemlich einzigartiges Doppelsystem.

Von Sebastian Winter

Die niederländische Regie hatte ein gutes Gespür bewiesen am Montag in der Arena von Arnheim. Sie ließ die Toten Hosen ihre Hymne "Tage wie diese" durch die Lautsprecher dröhnen, und auch wenn sich die deutschen Volleyballerinnen weder Unendlichkeit wünschten noch schwerelos spielten: Sie hatten Kasachstan in ihrem zweiten Gruppenspiel bei der Weltmeisterschaft mit 3:0 (25:15, 25:18, 25:21) in die Schranken gewiesen. Ihr Trainer Vital Heynen kommentierte den ungefährdeten Pflichtsieg des Weltranglistenelften über den Weltranglisten-39. aus dem zentralasiatischen Riesenland gewohnt trocken: "Ich bin nur halb zufrieden. Hatte gehofft, dass wir spieltechnisch schon weiter sind."

Mit Lippmanns Wechsel in den Sand änderte sich fürs Team die komplette Statik

Tags zuvor hatten die "Schmetterlinge", wie die DVV-Frauen genannt werden, in der Gruppe C bereits die Bulgarinnen mit einem 3:1-Sieg zurechtgewiesen. Heynens nüchterne Aussage nach den beiden Auftakterfolgen bei dieser WM in den Niederlanden und Polen kann daher durchaus so gedeutet werden, dass da eine gewisse Anspruchshaltung in der Mannschaft schlummert. Nach dem Motto: ,Passt mal auf, liebe Serbinnen und US-Amerikanerinnen, das war jetzt gewiss noch nicht alles, was wir zeigen können.' Auf Titelverteidiger Serbien trifft die DVV-Auswahl am Donnerstag, auf Olympiasieger USA am Freitag. Ja, die Gruppe C ist nicht gerade die einfachste bei diesem Turnier.

Aber die beiden Erfolge gegen Bulgarien und Kasachstan können auch arithmetisch noch wichtig werden. Die vier Gruppenbesten schaffen es in die Zwischenrunde und dürfen ihre vorher erzielten Punkte mitnehmen, wenn es dann in zwei Achtergruppen um den Einzug ins Viertelfinale geht. "Die beiden Siege nehmen nun den Druck raus", sagte Kapitänin Jennifer Janiska nach dem Kasachstan-Spiel. Die 28-Jährige selbst zeigte mit 17 erzielten Punkten, welch wichtige Rolle sie in der Mannschaft nicht nur als Führungsfigur, sondern auch als Außenangreiferin spielt. Rückkehrerin Kimberly Drewniok füllte ihre persönliche Statistik mit 13 Punkten auf. Beide Spielerinnen waren gegen Bulgarien noch nicht in der Startformation gestanden, was auch eines zeigt: dass das deutsche Spiel auf größtmöglicher Flexibilität und Unberechenbarkeit basiert.

Es ist erst ein paar Monate her, da war Louisa Lippmann noch jene Spielerin, die die meisten und auch die wichtigsten Angriffe schlug. Doch Ende April erklärte die 162-malige Nationalspielerin ziemlich überraschend für viele ihren Rücktritt. Sie hatte sich eingeengt gefühlt, gegängelt in einem entbehrungsreichen System - und gab kaum vier Wochen später bekannt, in den Sand wechseln zu wollen, wo sie freier sein könne. In diesem Sommer gab die Beachvolleyballerin Lippmann bei der Europameisterschaft in München ihr internationales Debüt. Für die DVV-Frauen in der Halle änderte sich mit dem Abschied der 27-Jährigen die gesamte Statik.

Heynen hat die üblichen Hierarchien aufgelöst, auch wer mit wem im Trainingslager auf dem Zimmer ist, ließ er neu austarieren. Die größte Neuerung aber verordnete ihnen der langjährige Männertrainer Heynen, der erstmals auf Spitzenniveau eine Frauenmannschaft betreut: Er lässt sie mit zwei unterschiedlichen Systemen spielen, angepasst an die jeweiligen Gegner, was in dieser Form auf Spitzenniveau keine andere Mannschaft macht. In seinem klassischen System, das er auch gegen Kasachstan spielen ließ, stellt Heynen Drewniok als Diagonalspielerin auf, als Hauptangreiferin also, wie früher ihre Vorgängerin Lippmann. Im neuen System aber lässt Heynen gar keine klassische Diagonalspielerin aufs Feld, sondern drei statt zwei Außenangreiferinnen.

Lena Stigrot übernahm die neue Hybridrolle - es funktionierte gleich sehr ordentlich

Das hat den Vorteil, stärker in der Annahme zu sein (eine Diagonalspielerin nimmt nie an) - und unberechenbarer im Angriff. Gegen Bulgarien ließ er Lena Stigrot diese Hybridrolle spielen, die schon öfter gezeigt hat, universell einsetzbar zu sein. Es funktionierte gleich sehr ordentlich. "Das Gefüge ist anders, die Last liegt nicht mehr nur auf der Diagonalspielerin", sagte Co-Trainerin Mareike Hindriksen am Dienstag am Telefon. Sie sagte auch: "Die neuen Impulse sind gut und wichtig." Zumal in den Jahren zuvor alles etwas eingefahren war im Team.

Nur fünf Spielerinnen des aktuellen Kaders waren auch schon bei der WM 2018 dabei, die Mannschaft hat ihr Gesicht verändert. 25,2 Jahre ist sie im Schnitt. Kapitänin Janiska, die schon seit 2013 dabei ist, frohlockte vor dem Turnierstart: "Wir hatten schon lange nicht mehr so einen Teamspirit."

Am Dienstagnachmittag flogen die Schmetterlinge von Amsterdam in Richtung Polen, in eines der volleyballverrücktesten Länder der Welt. Dort kommen, wie 2014, schon mal 50 000 Zuschauer ins Stadion, um die Männer-Nationalmannschaft bei der Heim-WM zu unterstützen. Für Heynen ist es eine Rückkehr an einen besonderen Ort: Mit Polens Volleyballern ist er 2018 Weltmeister geworden.

Nun also Serbien, der Titelverteidiger. Und der Olympiasieger USA. Spätestens diese Spiele dürften den deutschen Frauen die Richtung weisen bei dieser WM. Vielleicht gelingt ihnen ja eine Überraschung, nach der die Regie, wenn sie ein gutes Gespür hat, wieder das altbekannte Lied spielen kann: "In dieser Nacht der Nächte/Die uns so viel verspricht/Erleben wir das Beste/Kein Ende ist in Sicht."

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