Süddeutsche Zeitung

Vierschanzentournee:Prevc flößt den deutschen Skispringern Respekt ein

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Von Volker Kreisl, Innsbruck

Es war wieder der zweite Sprung, vor dem der deutsche Trainer Werner Schuster so viel Respekt hat. Der zweite Sprung, das ist der Grund, weshalb Schuster trotz der Entwicklung seines besten Springers Severin Freund den Slowenen Peter Prevc weiterhin als Favoriten für den Gesamtsieg sah.

Und das dritte Springen der Vierschanzentournee hat Schuster in seiner Einschätzung bestätigt, denn Prevc' zweiter Sprung war besonders nervenstark. Dieser Flug auf 132 Meter bedeutete nicht nur eine Steigerung der eigenen Leistung, sondern auch eine Reaktion auf Severin Freunds deutliche Steigerung auf 128 Meter wenige Minuten zuvor. Es war der Konter eines Konters.

Freund müsste wohl zehn Meter aufholen

Die Spannung ist damit zu großen Teilen gewichen aus der Vierschanzentournee 2015/2016. Freund hat nun 19,71 Punkte Rückstand auf Prevc, das sind rund zehn Meter auf der Schanze von Bischofshofen. Um zehn Meter in zwei Sprüngen aufzuholen, sagt Freund, "da muss man schon ein Wunder vollbringen, oder es muss ein Unglück passieren, und das wünsch' ich keinem".

Der stets defensive Prevc sieht das naturgemäß anders, "es ist noch nicht aus", sagt er. Schuster wartet auch noch ab: "Sollte Prevc weiter so springen, bin ich der Erste, der ihm gratuliert, aber zwei Sprünge sind noch zu machen." Da es Wunder aber eher selten gibt und Unfallwünsche tabu sind, bleibt Severin Freund dabei: "Die Frage der Gesamtwertung ist nun relativ eindeutig." Doch selbst wenn er seine hochklassige Form noch steigert und Prevc seine noch höherklassige Form auf der langen und wieder ganz anderen Schanze in Bischofshofen nicht halten sollte, wenn also der Sieger doch nicht ganz eindeutig ist: Die ersten Gesamt-Verlierer hat der Bergisel bereits hervorgebracht - es sind die Österreicher (siehe nebenstehenden Text). Der Niederösterreicher Michael Hayböck patzte im ersten Versuch so deutlich, dass ihn auch eine starke Vorführung im Finale nicht aufs Podest seiner Lieblingsschanze brachte. Und der Salzburger Stefan Kraft, Vorjahressieger der Tournee, kassierte einen weiteren Rückschlag, er wurde Elfter.

Schon eineinhalb Stunden zuvor hatte dieser Tag einen ersten Spannungshöhepunkt: Die Probesprünge vor den Wettkampf-Durchgängen sind nicht immer aussagekräftig, diesmal sorgten die Favoriten jedoch für Überraschungen und Stirnrunzeln bei den eigenen Trainern. Prevc landete seinen Vorab-Sprung nur bei 115,5 Metern, was "nicht mal in der Nähe von gut" war und seine Vorsicht bezüglich des Gesamtsiegs rechtfertige: "Denn mit nur 115,5 Meter verliert man ungefähr zehn Meter", sagte Prevc. Freund hatte zwar mit 129 Metern die Top-Weite erreicht, doch er blieb mit dem linken Ski im Neuschnee hängen und stürzte in den Schnee. Freund kam mit dem Schrecken davon, Schuster machte später seinem Ärger Luft: "Die Präparierung war nicht ausreichend." Er kritisierte auch die Markierung der Landezone. Die 130-Meter-Linie lag in einer Rinne, damit die rote Farbe von den vielen Skiern nicht verwischt wird. "Eine grandiose Idee", spottete Schuster. Für Freund war die Rinne zu tief, sein linker Fuß bekam einen leichten Schlag und blieb womöglich deshalb im Neuschnee hängen. Die Bergisel-Schanze ist ohnehin eine besondere Konstruktion und enger gebaut als die meisten Groß-Bakken. Der Anlauf ist acht bis zehn Meter kürzer, der Sprungtisch um zirka einen halben Meter niedriger, andererseits hat die Anlage den extravagantesten Auslauf, der dem Springer als steile Wand näherkommt. Man muss - und das alles in kaum einer Sekunde - auf die eigene Balance, die Schneerillen und den Druck des Gegenhangs achten. Freund hatte in der Qualifikation am Samstag extra noch aufs Landen geachtet.

Nach seinem Sturz kurz vor dem Wettkampf am Sonntag schulterte er dann die Ski und ging mit entspanntem Gesicht und durchaus lächelnd den Weg zum Aufzug hinauf. Dass er keine Verletzungen davongetragen hatte, wurde bald danach gemeldet, doch die Frage war, ob sich nicht doch wieder zu viel Respekt vor der Bergisel-Kuhle in ihm aufbaute.

Prevc springt auf einem "fantastischen Niveau"

Freund blieb aber im ersten Durchgang unbeeindruckt und konnte nachher auch überzeugend darlegen, dass ihn nichts aus dem Konzept gebracht hatte. "Das geht alles so schnell, da hast du gar keine Zeit, in ein Loch zu fallen", sagte er. "Ein paar blaue Flecken" werde er schon haben, für die Weiterreise und den Auftritt in Bischofshofen erwartet er aber keine Auswirkungen.

Der deutliche Vorsprung des Slowenen hat einfachere Gründe. Prevc springt seit ungefähr Mitte Dezember zwar nicht in den Probedurchgängen, aber doch im entscheidenden Moment besser. Er hat die letzten drei Wettkämpfe vor der Tournee gewonnen, und auch in Oberstdorf, als er Dritter wurde, bei Rückenwind noch eine überragende Leistung gebracht. "Er springt in den letzten Wochen auf einem fantastischen Niveau", sagt Schuster.

Die anderen in seiner Mannschaft, die Deutschen hinter Freund, sind dagegen noch verhältnismäßig tief in der Entwicklungsphase, dennoch brachten sich neben Freund drei weitere Teamkollegen unter die besten Zehn: Andreas Wellinger wurde in Innsbruck Sechster, Andreas Wank Neunter und Richard Freitag Zehnter. Im Trubel um den perfekten Prevc, nötige Wunder für den Gesamtsieg und rote Rillen wäre das fast untergegangen.

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SZ vom 04.01.2016
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