Süddeutsche Zeitung

Videobeweis in der Bundesliga:Aktionismus im Kölner Keller

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Im Kontrollraum der Videoschiedsrichter wird oft vergessen: Die, die dort sitzen, sollten ihren Kollegen auf dem Rasen leise Assistenten sein - und keine lauten Kommandeure. Immerhin ist Einsicht da.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Der Mann der Bundesliga-Premiere war nicht Thomas Müller, der am Freitagabend für den FC Bayern das erste Saisontor erzielte. Auch nicht ein Stürmer namens Hendrik Weydandt, dessen Aufstieg im klassischen Tellerwäscher-Stil - aus der Kreisklasse ins Oberhaus - ein erstaunliches 1:1 von Hannover bei Werder Bremen ermöglichte. Und selbst der missglückte Einstieg der Aufsteiger Düsseldorf und Nürnberg geriet zum Vorkommnis am Rande.

Stattdessen diktierte der Videobeweis, der während der WM in Russland halbwegs, jedenfalls besser als in Deutschland funktionierte, sofort wieder den Tonfall der Debatten. Ins Zentrum rückte Patrick Ittrich, 39, ein Hamburger, der einem fast ein bisschen leid tun musste, weil er seinen Platz im Saisonrückblick schon sicher hat. Wurde er doch zwei Mal folgenreich von seinem Videoassistenten korrigiert, weshalb er später mildernde Umstände reklamierte: "Deshalb war es auch ein so schweres Spiel für mich."

Beim Bundesliga-Start ist zu sehen: Es fehlt eine klare Linie

Bei Wolfsburgs 2:1 gegen Schalke hatte Ittrich im Laufe der zweiten Halbzeit wild mit seinen Karten hantiert: Gelb wurde zu Rot (bei Schalkes Nastasic)! Rot zurück in Gelb verwandelt (bei Wolfsburgs Weghorst)! Und als die Konfusion perfekt war, zeigte er dem Wolfsburger Verteidiger Brooks versehentlich Rot, bevor er bemerkte, dass er sich vergriffen hatte.

Bei den ersten beiden Fehlfarben hatte Ittrich einen Einflüsterer, und damit ist man zurück in der Zentrale des Problems: in Köln, im Keller. In dem hockt der "Video Assistant Referee", der VAR. Eigentlich war die Einrichtung dieses Kellers im Sommer 2017 sehr gut gemeint. Zur Lösung wegweisender Fragen - Tor, Abseits, Platzverweis - bekam der Stadion-Schiedsrichter seinen Keller-Helfer. Einen, der vor Flachbildschirmen sitzt und deshalb mehr sehen und substanzieller urteilen können sollte als er selbst.

Doch im Kern, das zeigten die wilden Videodebatten in München, Düsseldorf, Berlin und Wolfsburg, fehlt weiterhin die klare Linie: Wann liegt jene "gravierende Fehlentscheidung" vor, um die allein es laut Definition geht? Nur bei einer solchen darf sich Köln via Headset bei Ittrich und Kollegen melden. Ist es nicht gravierend, also in den unendlich vielen Fifty-fifty-Situationen, hält Köln besser die Klappe. Und lässt so das Spiel laufen, auch wenn Köln anderer Meinung ist.

Das Gute an der Eskalation des ersten Spieltages ist, dass Einsicht da ist. Jochen Drees, der Leiter des Videoprojekts, gab bereits am Sonntag zu, dass manches "nicht so gut gelaufen ist", dass man "weiter ins Detail" gehen müsse. Das Beispiel Wolfsburg dient jetzt als Exempel; zu oft kam aus der Kommandozentrale in Köln ein Hinweis, dem sich Ittrich nicht widersetzen konnte. Das ist kontraproduktiv, denn Anzweifeln untergräbt Autorität. Zu oft wird in Köln noch vergessen, dass die, die dort sitzen, ihren Kollegen leise Assistenten und nicht laute Kommandeure sein sollen. Getreu der alten Devise dieser Zunft: Der beste Schiedsrichter ist noch immer der, den keiner bemerkt.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2018
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