Süddeutsche Zeitung

U21-Nationalmannschaft:Erst mal nur Phantom-Tore

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Auch in Deutschlands wichtigster Nachwuchsauswahl fehlt gerade ein klassischer Mittelstürmer - Trainer Antonio Di Salvo arbeitet mit einem Spezialprojekt an einer langfristigen Lösung des Problems.

Von Ulrich Hartmann

Es hätte eigentlich keines Beweises mehr bedurft, dass der frühere Stürmer Antonio Di Salvo, der beim Deutschen Fußball-Bund eigens ein Stürmerprogramm zur individuelleren Ausbildung von Stürmern aufgelegt hat, sich gut mit Stürmern auskennt. Er hat diesen Beweis in seinem ersten Länderspiel als U21-Cheftrainer trotzdem angetreten.

Der 42-Jährige hat die U20-Stürmer Kevin Schade vom SC Freiburg und Malik Tillman von Bayern München in seine U21 hochgezogen, er hat ihnen in ihrem ersten EM-Qualifikationsspiel gegen Israel gleich ein Startelf-Debüt beschert und dann dabei zugesehen, wie sie ihm am vergangenen Donnerstag das Cheftrainer-Debüt retteten. Gegen erstaunlich effektive und bis kurz vor Schluss führende Israelis erzielte Tillman den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich. Schade traf in der 88. Minute zum 2:2. Und in der 90. Minute legte wieder Tillman dem Mainzer Jonathan Burkardt den 3:2-Siegtreffer auf. Di Salvos Gefühl war Gold wert.

Der dritte Sieg der U21 im dritten Qualifikationsspiel zur EM 2023 hat gezeigt, dass der deutsche Fußball kein Stürmerproblem hat - jedenfalls in jenem Sinne, dass sich keine Spieler fänden, die Tore schießen. Solche Spieler finden sich letztlich wohl immer. Das 3:2 gegen Israel hat allerdings mal wieder gezeigt, dass der deutsche Fußball ein Mittelstürmerproblem hat. Der Mittelstürmer Eric Shuranov vom 1. FC Nürnberg war an keinem Treffer beteiligt. Shuranov hat gespielt, weil Borussia Dortmunds Talent Youssoufa Moukoko verletzt ist. Moukoko ist erst 16 Jahre alt. Shuranov spielt in der zweiten Liga. Aber einen anderen Mittelstürmer hat die U21 derzeit nicht.

Sie braucht ihn allerdings auch nicht unbedingt, wenn das passiert, was gegen Israel passiert ist: Der zentral-offensive Angreifer (Tillman) schoss das erste Tor, der Rechtsaußen (Schade) das zweite und der Linksaußen (Burkardt) das dritte. Der Mittelstürmer fungierte dabei eher als eine Art Ablenkungsmanöver, ein wenig wie ein Phantom. Dieses Prinzip praktiziert mitunter auch die A-Nationalelf mit dem Mittelstürmer Timo Werner. Nicht auszudenken, wenn deutsche Mittelstürmer auch noch im Abschluss so effektiv wären wie ihre Nebenleute.

Die Bundesliga bestätigt den Eindruck: Die effektivsten Mittelstürmer sind zurzeit der Norweger Erling Haaland von Borussia Dortmund, der Pole Robert Lewandowski von Bayern München, der Tscheche Patrik Schick von Bayer Leverkusen, der Nigerianer Taiwo Awoniyi von Union Berlin, der Franzose Anthony Modeste vom 1. FC Köln und der Niederländer Wout Weghorst vom VfL Wolfsburg. Die bestgelisteten deutschen Mittelstürmer sind Florian Niederlechner, 30, vom FC Augsburg, Simon Zoller, 30, vom VfL Bochum und Fabian Klos, 33, von Arminia Bielefeld.

Das klingt, als müsste dringend etwas getan werden, und Di Salvo hat etwas getan. Er hat zusammen mit seinem Vorgänger Stefan Kuntz, ebenfalls ein früherer Stürmer, das sogenannte Stürmerprogramm aufgelegt, das dafür sensibilisieren soll, dass Mittelstürmer einen differenzierten Trainingsalltag benötigen. "Die Spieler müssen noch individueller gefördert werden", sagt Di Salvo, "sie sollen noch mehr an den spezifischen Basics arbeiten; es müssen wieder mehr solche kleine Spielformen ins Training eingebaut werden, in denen die Spieler lernen, intuitiv zu agieren."

Di Salvo stellte das Stürmerprojekt neulich den Berliner Nachwuchsleistungzentren vor

Dass sich gerade Stürmer manchmal absichtlich über die jahrelang gepredigte Mannschaftsdienlichkeit hinwegsetzen und in einzelnen Situation Mut zum Egoismus entwickeln sollen, gehört auch dazu. Ein, zwei durch Dribblings ausgeschaltete Gegenspieler können völlig neue Räume eröffnen. Auch das kann und muss die Aufgabe eines Mittelstürmers sein.

Auf der Suche nach Lösungen hat Di Salvo auch über die Grenze geblickt und in der Heimat seiner Eltern spioniert. "Ich habe vor ein paar Jahren beim italienischen Fußballverband hospitiert und mir auch die Arbeit bei italienischen Vereinen angeschaut", berichtet er. "Ich habe da das eine oder andere mitgenommen und bei uns integriert."

Di Salvo weiß, dass er Mittelstürmer als U21-Trainer nicht selbst entdecken und ausbilden kann. Diese Arbeit muss in den Vereinen und Nachwuchsleistungszentren übernommen werden. Zu diesem Zweck gehen die DFB-Trainer auch dorthin und geben ihre Erkenntnisse weiter. "Unser Stürmerprojekt ist total dynamisch, wir sind da ständig aktiv und haben das Projekt neulich in Berlin den U-Trainern der Nachwuchsleistungszentren vorgestellt." Es gehe darum, in Deutschland und für Deutschland gute Spieler auszubilden. "Aber nicht nur Stürmer", sagt Di Salvo, "sondern Spieler auf jeder Position; ich bin mir sicher, dass diese positionsspezifischen Programme fruchten und wir viele gute Spieler entwickeln werden."

Mit Burkardt, 21, Schade, 20, Tillman, 19, und Moukoko, 16, hat Di Salvo mindestens vier hoffnungsvolle Stürmer schon gefunden. An diesem Dienstag (17.30 Uhr, Pro7Maxx) steht in Ungarn das vierte EM-Qualifikationsspiel an. Moukoko ist verletzt, aber die Chancen stehen gut, dass die anderen drei wieder in der Startelf stehen.

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