Süddeutsche Zeitung

Deutsches U21-Nationalteam:Stärker als die Bilder der Niederlage

Lesezeit: 4 min

Von Sebastian Fischer, Udine

Es musste ziemlich weh tun, aber Benjamin Henrichs schaute weiter hin. Die Spanier feierten, sie tanzten im blauen Konfettiregen und sangen davon, Europameister zu sein, den sperrigen Zusatz "U21" ließen sie einfach weg. Henrichs, Außenverteidiger der deutschen Mannschaft, saß einige Meter dahinter auf dem Rasen, er sah mit traurigen Augen zu, sein Mitspieler Nadiem Amiri saß daneben, alle anderen deutschen Fußballer waren schon in der Kabine. Amiri, erzählte Henrichs später, habe ihm gesagt: "Wir lernen daraus."

Er hatte vor ein paar Tagen im Mannschaftshotel der U21 in Fagagna, einem Vorort von Udine, wo die Junioren-Nationalspieler in den vergangenen zwei Wochen stets Erfolge erklärten, von einem möglichen Sieg im Finale gesprochen. U21-Europameister, das sei "eine gute Empfehlung" für die A-Nationalelf, "eine bessere hat man in dem Alter kaum". Am Sonntagabend, nach dem 1:2 gegen Spanen, ging es dann allerdings darum, was von einem Jahrgang von Junioren-Nationalspielern bleibt, wenn er ein Finale verliert. Henrichs hatte immer noch Tränen in den Augen, als er geduscht aus der Kabine kam. Er sagte erst mal: "Es ist schwer, jetzt etwas zu sagen."

Deutschland hatte die Gruppenphase souverän überstanden, war beim 4:2 im Halbfinale gegen Rumänien erstmals in Rückstand geraten. Doch die letzten Eindrücke sind nun die der ersten Niederlage im Turnier. Gegen Spanien fiel das 0:1 schon nach sieben Minuten, Fabián Ruiz schoss aus der Distanz, er profitierte von einem Stellungsfehler von Innenverteidiger Timo Baumgartl, der seinem Gegenspieler folgte, weit nach vorne lief und damit eine Lücke aufriss. Das 0:2 fiel in der 69. Minute, Dani Olmo nutzte einen Fehler von Alexander Nübel und überlupfte den Torwart, der einen harmlosen Fernschuss nach vorne abprallen lassen hatte. Das 1:2 schoss Amiri in der 88. Minute zu spät, als dass es am Ausgang noch etwas hätte ändern können.

Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff und Bundestrainer Joachim Löw waren am Sonntag angereist, um sich das Spiel anzuschauen, Löw zum ersten Mal während des Turniers. Bierhoff sagte, er habe sich an das Finale der EM 2008 erinnert gefühlt, als Deutschland gegen Spanien mit 0:1 verlor. Was er damit meinte, klang zumindest in Auszügen nicht so schmeichelhaft: "Man läuft immer hinter dem Ball her, und wenn man ihn mal hat, verliert man ihn relativ schnell wieder." Löw sagte, Spanien sei der verdiente Sieger. Aber beide sprachen vor allem über die positiven Erkenntnisse aus dem Turnier. Die seien nämlich stärker als die Bilder der Niederlage.

Diese U21-EM, sie hatte auch als kleine Standortbestimmung für die Zukunft des deutschen Fußballs gedient. Nach dem Vorrunden-Aus der A-Elf bei der WM vor einem Jahr war die Forderung nach Veränderung populär geworden, in den jüngeren Jahrgängen im Nachwuchs fehlen die Erfolge, in diesem Sommer werden deshalb beim DFB Reformen angestoßen. "Ich kann nur davor warnen, dass wir mit dem Finaleinzug sagen, es ist ja alles doch nicht so schlimm", hatte U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz schon am Samstag gesagt.

Kuntz, 56, hat in den vergangenen zwei Wochen auch für sich selbst geworben, als Trainer, der schon 2017 mit der U21 die EM gewann, im Finale gegen Spanien, der scheinbar den richtigen Ton trifft in der Kommunikation mit jungen Fußballern, der nun auch einen Jahrgang in Abwesenheit der besten, längst in der A-Elf etablierten Spieler wie Leroy Sané oder Julian Brandt ins Finale führte, der zuletzt sogar immer wieder nach einer möglichen Zukunft als Bundestrainer gefragt wurde. "Am meisten freut mich, dass wir gezeigt haben, dass die deutschen Talente mit allen Talenten in Europa mithalten können", sagte er am Sonntag. "Es muss nicht immer das Dribbling, die Geschwindigkeit oder die Sensationsaktion sein." Er zählte auf, was er stattdessen für die großen Stärken der Mannschaft halte: "das Nichtaufgeben, Erfolgshunger, Widerstandsfähigkeit" oder das Umsetzen taktischer Pläne. Und er sagte einen Satz mit großer Selbstverständlichkeit, als er über die Folgen taktischer Änderungen im Finale sprach: "Die logische Konsequenz war, dass wir das Spiel in den Griff bekommen haben."

Die deutsche Elf hatte in den Tagen zuvor durchaus ein paar Dinge gezeigt, die man als Sensationsaktion bezeichnen durfte, Stürmer Luca Waldschmidt zum Beispiel ist mit sieben Toren Torschützenkönig geworden. Die individuelle Klasse der Spanier erreichte jedoch noch mal ein anderes, höheres Niveau, zunächst war das klar zu sehen. Fabián Ruiz etwa, der Mittelfeldspieler vom SSC Neapel, war kaum zu kontrollieren. In der zweiten Halbzeit hatte Deutschland weniger Probleme, weil die DFB-Elf das Mittelfeld anders zustellte und sich Spanien auf Konter beschränkte. Allerdings hatte Deutschland trotzdem zu wenige Torchancen, um das Spiel zu drehen. Und Nübels Fehler war mindestens der eine Fehler zu viel.

Für die Spieler des Jahrgangs 1996, Nübel, Amiri, Mahmoud Dahoud oder Kapitän Jonathan Tah, war es das letzte Spiel als Juniorennationalspieler. Auch Waldschmidt, der am Sonntag dreimal auffiel - einmal foulte ihn Jesús Vallejo böse und sah nur gelb, zweimal schoss er in der Schlussphase daneben - ist nun zu alt, für Deutschland kann er nur noch in der A-Nationalelf spielen. "Jeder von denen, der dabei ist, kann oben mal ankommen. Einige sind schon länger auf unserem Zettel", sagte Bundestrainer Löw. Kuntz sagte etwas vorsichtiger: "Zu dem ganz großen Adler ist es schon noch ein Stückchen."

Henrichs, der Außenverteidiger von AS Monaco, hat schon dreimal für die A-Elf gespielt, zum bisher letzten Mal im Sommer 2017. Er ist 22, Jahrgang '97, bei Olympia im kommenden Jahr darf er noch dabei sein. Als er darüber sprach, was nun bleibt von dieser Mannschaft, sagte er: "Die meisten sind raus und müssen jetzt nach oben." So traurig wie er war, klang das fast wie eine Strafe.

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