Süddeutsche Zeitung

Turnerin Kim Janas:Mit 16 schon am Karriereende

Lesezeit: 3 min

"Es ist ein bisschen so, als würde ein Teil von einem rausgerissen": Die Turnerin Kim Janas beendet nach drei Kreuzbandrissen ihre Karriere. Und empfindet bei allem Schmerz auch Erleichterung.

Von Volker Kreisl, München

Der Abgang vom Stufenbarren war perfekt. Gerade und ohne Wackler, beide Beine, beide Füße, beide Fußsohlen hatte Kim Janas beim Weltcup in Cottbus dorthin gesetzt, wo sie hingehören. Ulla Koch, die Bundestrainerin, applaudierte, und mit ihr alle anderen Betreuer und Beobachter. Sie waren erleichtert, dass die Turnerin nun stand, die Arme spreizte und lächelte.

Es war nur eine leichtere Übung am Stufenbarren, mit der Janas zurück in die Wettkampfwelt finden wollte, sie enthielt keine Höchstschwierigkeiten, und beim Abgang vollführte Janas auch keine für das Knie belastenden Seitwärts-Rotationen. Es ging nur um einen Belastungstest, die Betreuer wollten sich vergewissern, ob das große deutsche Turntalent Kim Janas nun wirklich zurück ist - und ihre Karriere endlich starten kann.

Eineinhalb Jahre Reha hat sie schon hinter sich

Doch die Geschichte von Kim Janas ist gespickt mit heimtückischen Überraschungen. Und was so gut aussah, entpuppte sich in Wirklichkeit als der letzte Abgang von ihrer letzten Turnübung.

Zehn Tage nach Cottbus hat Janas nun ihre Karriere beendet. "Es ist ein bisschen so, als würde ein Teil von einem rausgerissen", sagt sie, "als würde ein lieb gewonnenes Haustier sterben." Und dass es so kommen würde, hatte sie tief drinnen wohl schon geahnt, als sie in Cottbus noch die Kampfrichter anlächelte. Sie hatte ja einen leichten Knall und ein Stechen im rechten Knie gespürt, wenn auch nicht an der Stelle, an der ein typischer Kreuzbandriss schmerzt. "Einen Knall gibt es immer mal", dachte sie, das werde schon vergehen, nein, ein Kreuzbandriss sei das nicht, und sie ging zunächst mit rundem Gang von der Matte. Dann aber stoppte sie, fasste sich doch ans Knie - und humpelte schließlich davon.

Kim Janas aus Halle (Saale) ist 16 Jahre alt, und das Malheur in Cottbus war bereits ihr dritter Kreuzbandriss. Genauer gesagt war es nur ein Anriss, aber das macht in ihrer Situation keinen großen Unterschied. Sie hat insgesamt bereits gut eineinhalb Jahre nur als Reha-Patientin oder als Athletin im Muskelaufbau verbracht. Ihre als schwach erkannten Kreuzbänder wurden vor zwei Jahren durch eigenes Sehnenmaterial ersetzt. Zu den Kreuzbandrissen war im Frühjahr dieses Jahres noch eine Ellbogenverletzung gekommen, insgesamt hatte sie nie zeigen können, was in ihr steckte, denn die nächste Verletzung ereignete sich stets dann, wenn sie wie in Cottbus wieder erstmals vor Publikum auftrat.

Zum Turnen braucht man besonders viel Vertrauen in den eigenen Körper, das ist ihr jetzt abhanden gekommen. "Wenn das schon bei einem so guten Abgang passiert, dann verlierst du den Glauben", sagt sie. Ihr Körper hat eben zwei Seiten. Die eine verhieß außergewöhnliche Fähigkeiten. Als Kind war Janas mit ihrer Akrobatik den Gleichaltrigen um Jahre voraus, erste Plätze fielen ihr zu. Als 13-Jährige erreichte sie in der Bundesliga im Mehrkampf einmal 57,45 Punkte, damit wäre sie theoretisch bei der Erwachsenen-WM kurz zuvor Sechste geworden. "Janas hat eine überragende Sprungkraft", sagt Trainerin Koch. Ihre Gelenke sind besonders dehnbar, ihre Muskeln lassen sich schnell aufbauen.

Janas hat sich wie kaum jemand in ihrem Alter mit der Anatomie von Muskeln, Bändern und Knochen befasst, und sie kommt zu dem Schluss, dass die Schattenseite ihres Körpers mit den Vorteilen zusammenhängt. "Überbewegliche Bänder und Sehnen sind nicht immer ein Vorteil", sagt sie. Die Gelenkigkeit, glaubt sie, führte auch zu Instabilität, die Muskeln streikten schneller. Beide Seiten der Physis hängen zusammen, es ist eben doch nur ein Körper, und man selber steckt nun mal drin.

Es gibt schon neue Zukunftspläne

Bei aller Trauer über den plötzlichen Abschied vom Traum einer olympischen Karriere hat Janas das recht deutlich überrissen. Es gab keine Eingriffe von außen. Sie stammt nicht aus einer überehrgeizigen Turn-Familie, und ihre Mutter war zwar Trainerin, die ihre vierjährige Tochter als Alleinerziehende mit in die Halle genommen hatte. Aber Turnerin, sagt Janas, sei sie da eher von alleine geworden. Und später, auch in der Nationalmannschaft, "haben die Trainer nie zu große Erwartungen an mich gestellt", erklärt sie, "wenn ich was Neues einstudiert habe, dann deswegen, weil ich es selber wollte."

Zum Weitermachen habe sie nie jemand gedrängt, auch nicht zum Aufhören, der Abschied war allein Kim Janas' Entscheidung. Für die Gründe ist niemand verantwortlich zu machen, auch nicht sie selber, in diesem Fall war es einfach nur das Pech des eigenen Körpers. Natürlich muss das lieb gewonnene Haustier sozusagen erst mal betrauert werden, aber Janas, die mit 16 schon eine kleine Karriere hinter sich gebracht hat, wenn andere gerade anfangen, an die Zukunft zu denken, hat auch schon weitere Perspektiven. Tanzen wäre eine, oder Turn-Trainerin, und die Schule beenden muss sie ja auch noch.

Und morgens, nach dem Aufwachen, ist da jetzt auch Erleichterung, sagt sie: "Ich horche nicht mehr in mich hinein und mach' mir Sorgen wegen irgendwelcher Schmerzen und dass ich vielleicht nicht fit bin fürs Training." Die große Turnkarriere wird zwar niemals stattfinden, aber das hier sei auch nicht schlecht, es fühle sich an, ja, wie: "Sorglos leben."

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Quelle:
SZ vom 30.11.2016
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