Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Zwei Drittel drittligatauglich

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Vor dem Spiel beim Tabellen-Vorletzten Chemnitz wartet 1860 weiter auf den neuen Stürmer. Trainer Daniel Bierofka nimmt die Mannschaft in Schutz.

Von Philipp Schneider

Ja, doch, ein bisschen was war schon los in dieser Woche beim TSV 1860 München. Es war ja immerhin die Woche, die auf jenes bemerkenswert ernüchternde 1:5 beim 1. FC Magdeburg folgte, nach dem Trainer Daniel Bierofka kundgetan hatte, er schäme sich für den Auftritt seiner Mannschaft. Einer Mannschaft, die noch angereichert werden soll um einen weiteren Stürmer, ehe am kommenden Montag die Frist enden wird, in der Spieler überhaupt transferiert werden dürfen.

Es war allerdings in dieser Woche nicht etwa deshalb etwas los, weil der neue Stürmer bereits eingetroffen wäre an der Grünwalder Straße. Was los war: Vereinspräsident Robert Reisinger saß am Sonntag erstmals als Gast in einem Fernsehstudio des Bayerischen Rundfunks. Dort erzählte er, was er eigentlich immer erzählt (er will keine neuen Schulden bei 1860, Mehrheitsgesellschafter Hasan Ismaik darf trotzdem gerne helfen, wenn er neue Spieler privat und darlehensbefreit finanziert). Tags darauf meldete sich Ismaik auf seiner Lieblingsplattform Facebook. Auch Ismaik erzählte, was er eigentlich immer erzählt (mit einem finanziellen Konsolidierungskurs droht 1860 der Abstieg, wenn nicht schnell ganz viel investiert wird in den Klub, dann wird er abgehängt von der bayerischen Konkurrenz). Und doch blieben nach all dem redundanten Gerede zwei neue Erkenntnisse: Sechzigs Vereinspräsident bezeichnet die Unterstützer seines Konsolidierungskurses als seine "Homeboys" und "Fanboys". Und Ismaik berichtete, Reisinger habe gelogen, als er im Fernsehstudio behauptet hatte, er habe versucht, Ismaik telefonisch zu erreichen, sei mit seinem Anruf aber nicht durchgedrungen.

Armes Sechzig. Und damit zum Sport.

Daniel Bierofka sitzt am Donnerstag in dem großen Konferenzraum an der Grünwalder Straße. An diesem Freitag (18 Uhr) spielt seine Mannschaft beim Chemnitzer FC. Sechzig ist Drittletzter der Tabelle, Chemnitz Vorletzter. Dem Verlierer dieser Partie wird dämmern, dass es eng werden dürfte mit dem Klassenerhalt in diesem Jahr. Auf dem Tisch vor Bierofka liegen Aufnahmegeräte, an der Wand hängen zwei Mannschaftsfotos von den sogenannten Meisterlöwen aus dem Jahr 1966. Nach dem 1:5 gegen Magdeburg wirken die in Schwarz-Weiß gefangenen Männer nicht länger 53 Jahre und zwei Ligen entfernt, sondern wie Abgesandte aus einer jenseits der Milchstraße gelegenen Spiralgalaxie.

Frage an Bierofka: Was muss denn nun besser werden mit der Mannschaft?

"Der Günther Gorenzel ist immer noch am arbeiten", sagt Bierofka über die Stürmersuche bei 1860

Nicht so vorschnell, argumentiert Bierofka. Es sei ja so: "Wenn man die erste Halbzeit gegen Münster ausnimmt, die zweite Halbzeit gegen Mannheim und das komplette Spiel gegen Magdeburg, dann haben wir schon gezeigt, dass wir drittligatauglich sein können." Sechs Partien sind gespielt, das macht zwölf Halbzeiten. Vier von ihnen waren nach der Rechnung des Trainers schlecht, bleiben acht gute, was bedeutet: 1860 ist immerhin zu zwei Dritteln drittligatauglich. Ob das reicht?

Der letzte Auswärtssieg datiert vom 9. März, 1860 gewann damals 1:0 bei Wehen-Wiesbaden. Es gelte nun, diese "Statistik zu durchbrechen", kündigte Bierofka an. Er habe in dieser Woche "Klartext" gesprochen mit der Mannschaft, und siehe da: "Sie war sehr einsichtig." Einsicht hin oder her, auf der einen oder anderen Position wird Bierofka vorsichtshalber Änderungen vornehmen. Auf der von Benjamin Kindsvater gewiss sogar, der Außenstürmer hat sich an der Schulter verletzt und fehlt. Genau wie der Stürmer, den Ismaik mit privaten Mitteln finanzieren wird.

"Der Günther Gorenzel ist immer noch am arbeiten", sagt Bierofka über den mit der Stürmersuche befassten Sport-Geschäftsführer. Gorenzel arbeitet vor allem deshalb noch, weil einige Kandidaten abgesprungen sind, wie Bierofka berichtet. "Einerseits ging's um die Vertragslaufzeit, andererseits ums Finanzielle. Und andere Vereine haben mit diversen Spielern schon länger gesprochen." Es gibt noch Hoffnung: "Wir haben jetzt noch ein bis zwei Personalien, die Günther Gorenzel versucht, abzuarbeiten. Ich hoffe, dass dann irgendwann Vollzug gemeldet werden kann."

Irgendwann. Auf jeden Fall aber nach dieser Partie, in der Sechzigs Auswärtsschwäche möglicherweise dadurch gelindert wird, dass der Heimvorteil von Chemnitz geringer ausfällt als gewöhnlich. Die "Ultras Chemnitz 99" haben ihre Anhänger dazu aufgerufen, dem Spiel fernzubleiben: "Lasst die Kurve leer. Setzt Zeichen. Für die GmbH sind alle Fans aktuell nur lästiger Dreck, der für das eigene Dauerversagen missbraucht wird", schrieben die Ultras auf Facebook. Der Klub und seine Ultras sind zerstritten, nachdem Sportdirektor Thomas Sobotzik aus der eigenen Kurve die Rufe "Judensau" entgegengebrüllt worden waren. Und der Klub daraufhin die Mannschaft aufgefordert hatte, den sonst obligatorischen Besuch an der Kurve ausfallen zu lassen.

"Damit beschäftige ich mich nullkommanull", sagt Bierofka. "Das ist die Sache von Chemnitz. Wir werden ganz normal auf den Platz gehen."

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SZ vom 30.08.2019
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