Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Gaul aus dem eigenen Stall

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Beim 6:1 gegen Halle ragt der 22 Jahre alte Dennis Dressel heraus. Er steuert vier Tore bei -und wird nun schon in einem Atemzug mit den historischen Figuren des Vereins genannt.

Von Christoph Leischwitz

Rudi Völler zum Beispiel. Der hatte das auch geschafft, für den TSV 1860 München vier Tore in einem Spiel zu schießen. Sechzigs Trainer Michael Köllner erwähnte das am späten Samstagnachmittag. Und nun könne man sich freuen, dass sich "ein Eigengewächs" diesmal so hervorgetan habe; und dass solch ein Eigengewächs jetzt in einem Atemzug genannt werde mit historischen Größen des Vereins. Diese Einordnung nach dem 6:1 (2:0) gegen den Halleschen FC nahm Köllner wohl auch deshalb vor, weil er hofft, dass der 22-jährige Mittelfeldspieler auch einmal so eine Größe wird - und zwar bei 1860, und nirgendwo anders.

Zweifellos: Dressel hat für Furore gesorgt. Er hatte auch nicht einfach nur vier Tore geschossen. Der Treffer zum 1:0, nach einer Kopfballabwehr vom Strafraumrand halbvolley ins Kreuzeck (41.), war nicht nur schön anzusehen gewesen. Es war nach dem ersten Spiel ohne eigenes Tor eine Woche zuvor (0:2 gegen Duisburg) auch ein wichtiger Dosenöffner gewesen in einer Partie, die bis zu diesem Zeitpunkt wenig Höhepunkte gesehen hatte. Der Treffer zum 2:0 war ebenso schön, volley mit dem anderen, dem rechten Fuß, und flacher (45.+1). Nach seinem 3:0 per Abstauber (56.) und dem 4:0 durch Sascha Mölders zwei Minuten später rief ein Funktionär auf der Haupttribüne: "Mist, ich habe 2:0 getippt." Und nach dem vierten Tor von Dressel (71.) zum 5:1 hieß es eben dort: "Stop counting". Das sind Sorgen, von denen sie regelmäßig gerne mehr hätten beim Traditionsklub, bei dem es zurzeit vergleichsweise sehr ruhig zugeht.

Es ist allerdings nicht so, dass es sich bei Dressels Viererpack um ein unvorhersehbares Ereignis gehandelt hätte. Zum einen wissen sie schon sehr lange, was sie an dem Eigengewächs haben, das seit 2007 an der Grünwalder Straße gedeiht. So ist es auch kein Zufall, dass Dressel vor allem bei Eckbällen am Sechzehner auf einen abgeprallten Ball wartet - auf diese Weise hatte er auch schon zwei Wochen zuvor, beim Derby in Unterhaching, das wichtige 1:0 erzielt. Und im vorletzten Derby gegen die Vorstädter hatte er beim 3:0 alle drei Tore gemacht. Damals hatte er das Führungstor mit einem Handstand-Überschlag gefeiert, diese Marotte haben sie dem früheren Turner beim Turn- und Sportverein von 1860 mittlerweile offenbar ausgetrieben.

Ansonsten trifft Dressel eher selten. Aber Trainer Köllner sieht zahlreiche weitere Stärken im Spiel des 1,84 Meter großen Blondschopfs. Er sei im Gegenpressing auch einer der Wichtigsten, betonte er nach dem Sieg, "aber mit seiner Abschlussstärke hat er uns heute einen Riesendienst erwiesen. Er hat einen Schuss wie ein Gaul, da müssen viele in Deckung gehen". Ansonsten war der 50-Jährige damit beschäftigt, den Gaul einzufangen. Er betonte die starke Mannschaftsleistung und hoffe, "dass Dennis weiter an sich arbeitet". Dressel selbst machte keine Anstalten, ausbrechen zu wollen. "Wir müssen das jetzt nicht überbewerten", sagte er nach der Partie über seine Leistung. Einen Spielball nahm er sich aber schon mit nach Hause, als Erinnerung an einen "besonderen Tag".

Dressel, Fabian Greilinger und Leon Klassen sind die Spieler, die sich die Sechziger am längsten selbst aufgebaut haben. Und wenn die U17 des Vereins nicht vor drei Jahren aus der Bundesliga abgestiegen wäre, es wären womöglich ein oder zwei mehr TAlente, die jetzt zur Verfügung stünden (dieses Jahr ist die U17 wieder aufgestiegen). Umso wichtiger ist es, Dressel langfristig halten zu können. "Er weiß schon, was er an seiner Mannschaft und am Verein hat", sagte Köllner deshalb auf die Frage, ob man sich nun Sorgen machen müsse, dass Dressel bald weggekauft werden könnte.

Der hohe Sieg, der übrigens für den Hallenser Trainer Florian Schnorrenberg deutlich zu hoch ausgefallen war, kaschierte freilich auch das eine oder andere Problem des Tabellenzweiten. Etwa jenes, dass mehrere andere Spieler zurzeit zu viele Chancen benötigen, um zu treffen. Und, dass nach dem 1:4-Anschlusstreffer durch Terrence Boyd (63.) und den folgenden Großchancen der Gäste die Partie beinahe noch einmal gekippt wäre. Letztlich aber konnte Köllner auch noch darauf verweisen, dass das 6:1 durch zwei Einwechselspieler vorbereitet (Johann Ngounou) und erzielt wurde (Erik Tallig), und dass man auch den verletzungsbedingten Ausfall des Rechtsverteidigers Marius Willsch habe abfangen können. Der Kader der Sechziger gilt als gefährlich dünn besetzt für die lange Drittliga-Saison. So nutzt der Trainer jede Gelegenheit, auf Geschlossenheit hinzuweisen.

Darüber hinaus sollte er aber auch darauf achten, mit wem er Dennis Dressel vergleicht. Rudi Völler etwa erzielte zum letzten Mal am 29. Mai 1982 für den TSV 1860 München einen Viererpack. Und damit verabschiedete er sich. In jenem Sommer wechselte er zu Werder Bremen.

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SZ vom 09.11.2020
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