Süddeutsche Zeitung

Tschechische Nationalelf:Opfer des Aberglaubens

Lesezeit: 3 min

Von Tobias Schächter, Prag

Pavel Kuka sagt, er sei grundsätzlich ein Optimist. Aber auf die Frage, wie die Chancen der tschechischen Nationalelf im WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland seien, seufzt er erst einmal. Dann antwortet er: "Ich hoffe, dass es besser wird als beim letzten Mal und die Mannschaft es den Deutschen schwer macht."

Das Hinspiel verloren die Tschechen vergangenen Oktober in Hamburg 0:3, die Auswahl von Trainer Karel Jarolim war chancenlos. Die Chance, bei der WM 2018 in Russland mitzuspielen, ist nur noch gering. Mit derzeit neun Zählern liegt Tschechien vier Punkte hinter dem Gruppenzweiten Nordirland, dem Gegner am kommenden Montag in Belfast. Selbst Optimisten wie Kuka fällt es angesichts dieser Lage schwer, Hoffnung zu verbreiten.

Der ehemalige Nationalspieler gehört zur großen Generation des tschechischen Fußballs: Kuka stand im verlorenen EM-Finale 1996 von London gegen Deutschland auf dem Platz, gemeinsam mit Pavel Nedved, Miroslav Kadlec und all den anderen. Seine beste Zeit erlebte der frühere Mittelstürmer in Deutschland; mit Kaiserslautern gewann er 1998 die Meisterschaft. Später arbeitete der heute 49-Jährige als Sportdirektor bei einigen tschechischen Klubs. Seit fünf Jahren ist er verantwortlich für ein spezielles Projekt: Mit früheren Mitspielern veranstaltet er Benefizspiele, um Geld für Sportler zu sammeln, denen es nicht so gut geht wie ihnen. "Viele bekommen keine Rente oder leben in sozial schwierigen Verhältnissen", erklärt Kuka.

Angekommen im Mittelmaß

Dass die ständige Erinnerung an die erfolgreiche Generation die aktuelle belaste, leugnet er nicht - es sei aber nicht der Hauptgrund für das Abdriften ins europäische Mittelmaß, glaubt Kuka. Er sagt: "Wir haben einige Fehler gemacht in den letzten Jahren." So sei zu lange mit der Integration junger Spieler gewartet worden. Die Tschechen seien einer Art Aberglauben verfallen gewesen: Man habe geglaubt, Nedved und andere Helden könnten auch noch mit 50 spielen. Nach dem Vorrunden-Aus bei der letzten EM traten Torwart Petr Cech und Jaroslav Plasil, zwei Routiniers, zurück. Tomas Rosicky, 36, fehlt am Freitag wieder einmal verletzt. Es sagt viel über den Zustand des tschechischen Fußballs aus, wenn der alte, verletzungsgeplagte Genius noch immer viele Hoffnungen trägt.

Die Offensivverteidiger Pavel Kaderabek (Hoffenheim) und Theo Gebre Selassie (Bremen) sowie Mittelfeldspieler Vladimir Darida (Hertha BSC) gehören zu den Besten. Kuka hofft, dass sich bald neue Talente durchsetzen. Im Angriff etwa Patrik Schick, 21. Der Stürmer wechselte jüngst für 38 Millionen Euro von Sampdoria Genua zum AS Rom. Mit elf Toren in 32 Spielen für Genua habe Schick bei seiner ersten Auslandsstation Potenzial bewiesen, findet Kuka.

Grundsätzlich findet er, es sei an der Zeit, den Druck von der Nationalelf zu nehmen und nicht zuerst auf Ergebnisse zu schauen. Trainer Jarolim müsse nun den Jungen vertrauen. Ziel müsse sein, eine starke Elf für die nächste EM-Qualifikation aufzubauen. Im Gegensatz zur WM-Teilnahme sei die Qualifikation für die EM 2020 Pflicht. "Dort könnten die jungen Spieler sich dann einen Namen machen - so wie 1996 in England. Wer habe vor dem Turnier damals schon die Namen Poborsky, Nedved, Berger oder Smicer gekannt?", fragt Kuka: "Danach war das ganz anders." Doch es mangelt nicht nur an Talenten.

Skandale und kein Geld

Der tschechische Fußball produziert regelmäßig Skandale. Im Mai wurde Verbandspräsident Miroslav Pelta verhaftet. Er soll staatliche Fördergelder veruntreut und seinem Heimatklub zugeführt haben. Pelta beteuert seine Unschuld, ist aber zurückgetreten. Auch im Ministerium für Bildung und Sport gab es Rücktritte. Der Hauptsponsor der ersten Liga beendete nach Bekanntwerden des Skandals sein Engagement. Fast überall fehle es an Geld, klagt Kuka; außer Sparta Prag habe kein Verein ein professionelles Trainingszentrum. Bei Slavia Prag ist seit einem Jahr ein chinesischer Investor am Werk. Kuka hofft, dass die Chinesen langfristig denken und in die Nachwuchsförderung investieren.

Am Freitag wird er sich mit den alten Mitspielern von 1996 in Prag zum Golfen treffen und dann zum Spiel gehen. Seit dem bislang letzten Auftritt gegen Deutschland sei eine Steigerung zu erkennen, findet Kuka. Ganz schwarz will er die Zukunft nicht malen.

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Quelle:
SZ vom 01.09.2017
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