Süddeutsche Zeitung

Triathlon:Profitstreben in der Krise

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Die Ironman-Gruppe und die aus Deutschland gesteuerte Challenge-Familie kämpfen um die Macht im Triathlon. Eine fragwürdige Rolle spielt dabei die Athleten-Gewerkschaft PTO.

Von Frank Hellmann

Humor ist, wenn man in der Krise lacht. Sebastian Kienle hat es zumindest über sein Instagram-Profil geschafft, der Pandemie mit einem ironischen Beitrag zu trotzen. Es zeigt einen der weltbesten Langdistanz-Triathleten in voller Radmontur und gebückter Haltung - auf einem Holland-Rad. Vorn dran hängt ein Korb. Dazu hat Kienle geschrieben: "...als man die Gerüchte hörte, dass Klopapier wieder vorrätig ist." Mehr als 12 000 Personen gefiel Kienles Beitrag in den vergangenen Tagen. "Auch ich habe schlechte Tage und mache mir Sorgen, aber es liegt an einem selbst, ob das Glas halb voll oder halb leer ist", erklärte der 35-Jährige dem Triathlon-Magazin. Diese Einstellung probiere er nach außen zu tragen, "eines der wenigen systemrelevanten Dinge, die man zurzeit als Profisportler tun kann".

Kienle hält nichts davon, sich in der globalen Auszeit des Profisports übermäßig zu quälen. Oft fährt der Sieger des Ironman Hawaii 2014 nur mit dem Crossrad durch die Landschaft. Er käme nie und nimmer auf die Idee, eine Langdistanz in den eigenen vier Wänden zu bestreiten, wie es sein großer Konkurrent und guter Freund, der dreifache Hawaii-Triumphator Jan Frodeno getan hat. Der 38-Jährige absolvierte über Ostern in seiner spanischen Wahlheimat Girona die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen im Pool mit Gegenstromanlage, auf dem Rollentrainer und Laufband für eine Goodwill-Aktion. "Ich versuche erst gar nicht, die Motivation zwanghaft aufrecht zu erhalten. Die Siege bei den Online-Rennen können gern die anderen holen", sagt Kienle. Doch nicht alle sind in der Triathlon-Szene so entspannt wie der frühere Physik-Student. Vor allem nicht die Veranstalter.

Mitten in der Krise ist ein Krieg um die Deutungshoheit in einer Randsportart entbrannt. Dabei bekämpfen sich nicht das erste Mal die Dachmarke Ironman mit dem Hauptsitz in Tampa/Florida und die aus dem Frankenland gesteuerte Challenge-Organisation, die von der Familie Walchshöfer als Familienunternehmen gegründet wurde. Als Geschäftsführer der Challenge Family GmbH fungiert inzwischen der früher auch eng mit Kienle verbundene Zbigniew Szlufcik, der im Triathlon schon vielfältige Rollen übernahm. Seit 2016 ist er Challenge-CEO.

Die Dachmarke Ironman hält fast krampfhaft an den Rennen fest

Die Scharmützel zwischen Ironman und Challenge um Standorte und Termine sowie das Abwerben von Mitarbeitern und Topathleten sind nicht neu, sondern begleiten den Triathlon seit vielen Jahren. Weit vor der Corona-Krise hatte Challenge einen Coup gelandet, als Roth jeweils die besten drei Männer und Frauen vom Hawaii-Podium, darunter die deutschen Sieger Jan Frodeno und Anne Haug, verpflichtete. Renndirektor Felix Walchshöfer sagte jedoch wegen der Corona-Gefahren bereits Ende März den für den 5. Juli angesetzten Höhepunkt schweren Herzens ab. Nun wollen 3400 Starter einfach am 4. Juli 2021 einen neuen Anlauf nehmen. Übrigens auch das Aushängeschild Frodeno.

Die gegensätzliche Politik betreibt die Ironman-Organisation, die fast krampfhaft an Rennen festhält, die vollkommen unrealistisch geworden sind. Solche Massenevents wären ja ein Durchlauferhitzer für Viren: Helfer reichen feuchte Schwämme, Athleten klatschen jubelnde Zuschauer ab. Der Ironman Hamburg (geplant am 21. Juni) und der bedeutsamere Ironman Frankfurt (28. Juni) sind bislang nur auf unbestimmte Zeit verschoben, es werden Ausweichtermine im September gesucht. Deutschland-Chef Oliver Schiek will die Entscheidungen der Politik am 6. Mai abwarten. Der Unmut in Athletenkreisen ist schon jetzt groß, auch weil viele fürchten, im Zweifel ihre bereits entrichteten Startgelder nicht zurückzuerhalten - im Gegensatz zu den Challenge-Startern in Roth. Die Konkurrenz aus Franken scheut deshalb nicht vor Seitenhieben zurück: "Hinter uns steht kein ausländischer Investor", heißt es dann schon mal.

2008 übernahm der Finanzinvestor Providence den Triathlon-Weltverband (WTC) mit der Marke Ironman. Es begann ein fast alle Kontinente überspannender Expansionskurs. 2015 zahlte die chinesische Wanda-Gruppe sagenhafte 650 Millionen Dollar für die Eventsparte mit dem alljährlichen Höhepunkt auf Hawaii. Nun ging Ende März das ganze Segment für geschätzte 730 Millionen Dollar an die US-Firma Advance. Beteiligt ist auch das Unternehmen Orkila mit seinem Chef Jesse Du Bey, der schon bei der Providence-Übernahme involviert war.

"Er ist Triathlet, was schon mal bedeutet, dass er sich mit der Sache auskennt", sagt Kurt Denk, der Begründer des Ironman Frankfurt. Er glaube, dass der Ironman jetzt in bessere Hände gekommen sei. "Wanda hat mit Supermärkten, Kreuzfahrtschiffen und mit Sportrechten seine Geschäfte gemacht, aber Ironman lief nur nebenher." Du Bey hat bereits angekündigt, dass er - Pandemie hin oder her - weiter auf Wachstum setzt. Mit den zähen Ausdauerenthusiasten ist gutes Geld zu verdienen, weil sie für ihr Hobby keine Kosten und Mühen scheuen. Sie geben für eine Teilnahme locker 500, 600 und mehr Euro Teilnahmegebühr aus, sind mit Rennmaschinen unterwegs, die den Wert eines Kleinwagens haben und plündern die Urlaubskasse, um Trainingslager zu bestreiten. Ironman hat erste Partnerschaften mit virtuellen Plattformen abgeschlossen. Werden notfalls Qualifikationsplätze für Hawaii auf diesem Wege vergeben?

Der Trick, die Athleten an die weltweit rund 235 Wettkämpfe mit dem Ironman-Label zu binden, ist ja recht simpel: Nur wer dort die nötigen Punkte sammelt, darf sich im Herbst in der Bucht von Kona beim Startschuss aufstellen. Gegen diese Magnetwirkung kam Challenge bislang nie an. Aber nun scheint ausgerechnet die Professional Triathlon Organisation (PTO), die Athleten-Gewerkschaft, einen Weg gefunden zu haben, die Vorherrschaft zu untergraben. Nachdem dort im vergangenen Jahr der Milliardär Michael Moritz einstieg, wollte die PTO selbst die Ironman-Rechte übernehmen. Der Deal scheiterte.

Challenge lobt in Daytona eine Million Dollar Preisgeld aus

Jetzt erfolgte eben der Angriff aus dem Hinterhalt: Am Donnerstag gaben die PTO und Challenge bekannt, eine neue Weltmeisterschaft über die Mitteldistanz ins Leben zu rufen: die Challenge Daytona auf der legendären Autorennstrecke (4. bis 6. Dezember). Preisgeld: eine Million Dollar. So viel gab es beim Triathlon noch nie zu verdienen. Eine Woche vor dem Challenge Daytona steht im Wettkampfkalender eigentlich die Ironman 70.3-WM im neuseeländischen Taupo (28./29. November). Auch da geht es über 1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren und 21,1 Kilometer Laufen - aber eben nur um 250 000 Dollar Preisgeld.

Der Challenge Daytona könnte unter bestimmten Umständen sogar gegen das Virus abgesichert werden: Schwimmen und Laufen fanden 2018 hier innerhalb des Stadionareals statt, die Radfahrer könnten durch die gewaltigen Steilkurven rasen. Die Rahmenbedingungen wirken damit krisenfester als beim für den 15. Oktober geplanten Ironman Hawaii, wo bereits ernsthaft über eine Verlegung in den Februar gesprochen wird. Die Rolle der Profi-Vereinigung PTO in dem Geflecht der unterschiedlichen Interessen wirkt überaus fragwürdig.

Das Streben nach Macht ist offenkundig. Nach Information des Triathlon Magazins sind alle Profis, darunter auch die deutschen Hawaii-Gewinner der letzten Jahre mit Frodeno, Kienle und dem in Salzburg beheimaten Patrick Lange mit der Unterzeichnung des PTO-Athletenvertrags zum Start verpflichtet, wenn ein Preisgeld von mindestens eben einer Million Dollar ausgelobt wird. Insofern erscheint auch die gleich zu Beginn der Corona-Krise von der Profi-Vereinigung PTO vorgenommene Bonuszahlung an die besten 100 Frauen und Männer - 2,5 Millionen Dollar kamen anhand einer Rangliste vorzeitig zur Ausschüttung - in einem strategischen Licht.

PTO und Challenge hatten für diesen Mai eigentlich geplant, erstmals einen lukrativen Nationen-Wettkampf in der Slowakei zu veranstalten. Nun soll dieses Format auch nächstes Jahr stattfinden. Challenge-Vorstand Szlufcik begründet die Umtriebe so: "Obwohl die Auswirkungen in der globalen Pandemie noch mit Unsicherheiten verbunden sind, wissen wir, dass die Vorbereitung und Hoffnung für die Triathlon-Community fortgesetzt werden müssen." Man wolle eine "Hommage an unseren Sport" erschaffen.

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SZ vom 03.05.2020
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