Süddeutsche Zeitung

Transfers beim TSV 1860:Lahme Enten aus München

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Von Philipp Schneider

Torsten Fröhling überlegte nicht lange, dann sagte er: "Nee". Vordergründig war dieses Nee eine recht knappe Antwort auf eine fast unschuldig anmutende Frage: Ob nämlich seine Wunschkandidaten für eine mögliche Verpflichtung überhaupt noch zur Verfügung stünden auf dem Transfermarkt. Weil aber Fröhling kein beliebiger Fußballtrainer ist, sondern beim Zweitligisten TSV 1860 München angestellt ist, barg das knappe Nee weiteren politischen Zündstoff.

Für Sechzig beginnt am Sonntag die Saison mit einem Auswärtsspiel in Heidenheim. Und nach Lage der Dinge werden die Münchner dort nicht nur ohne Fröhlings Wunschspieler antreten. Sie werden mit derselben Mannschaft antreten, die ihren Ligaverbleib in der Vorsaison erst in der Nachspielzeit der Relegation gegen Kiel gesichert hatte. Seiner "jungen Mannschaft" traue er eine "ganze Menge zu", sagte Fröhling also: "Aber wenn wir so bleiben, dann wird es nicht einfach. Gerade wenn jetzt noch irgendwo jemand ausfällt. Der Kader ist ziemlich, ziemlich schmal."

Fröhling sorgt sich um die "lahmen Enten"

Drei Zugänge erst hat der zum Sportdirektor degradierte ehemalige Geschäftsführer Sport Gerhard Poschner in diesem Sommer verpflichtet, zwei Nachwuchsspieler und einen Profi mit Trainingsrückstand: Milos Degenek, 21, kam vom VfB Stuttgart II, Romuald Lacazette, 21, von Paris St. Germain II. Dazu der Brasilianer Rodnei, 29, aus Leipzig. Das war's. Kaum überraschend, dass Fröhling besorgt ist: Auf die Frage, welches System er in der kommenden Saison spielen lassen möchte, sagte er am Dienstag: "Wir müssen schauen, welches Material wir zur Verfügung haben. Ich kann nicht 4-3-3 spielen, wenn ich links und rechts zwei lahme Enten habe." Er sagte das wohl halb im Spaß, halb im Ernst. Jedenfalls schob er hinterher: "Wir haben ja schnelle Spieler!"

Es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Theorien, weswegen sich Sechzig in dieser Saison partout nicht verstärken kann. Oder will. Mal hieß es, Poschner habe zu spät erfahren, wie hoch sein Budget sei. Also habe er konkrete Verhandlungen mit Spielern und Beratern kaum aufnehmen können. Diese Version interpretierte Übergangspräsident Siegfried Schneider auf der Mitgliederversammlung allerdings als Legende - mit dem Hinweis, Poschner wisse seit der Lizenzierung, dass ihm eine Summe von 1,5 Millionen Euro für Ablöse und Gehälter aller neuen Spieler zur Verfügung steht.

Dass Poschner erst zwei Tage vorher erfahren hatte, dass diese Summe um 500 000 Euro auf zwei Millionen Euro erhöht würde, erwähnte Schneider allerdings nicht. Als der Verteidiger Tim Hoogland in Bochum unterschrieb und nicht in München, hieß es, Schneider habe seine Zustimmung nicht erteilt und den Transfer blockiert. Diese Version wies Schneider von sich, indem er den Pressevertretern eine seiner Mails an Poschner vorlas, aus der hervorging, dass er Poschner am ersten Tag seiner Übergangspräsidentschaft lediglich um einen Tag Bedenkzeit gebeten hatte. Schneider brachte schließlich eine weitere Theorie ins Spiel, als er nicht ohne Hintergedanken anmerkte, er "gehe davon aus, dass Poschner die Kaderplanung nicht erst am Montag begonnen hat".

Um die zähen Transferaktivitäten Poschners zu deuten, hat sich jetzt auch noch Noor Basha in die Debatte eingeschaltet, der Cousin von Investor Hasan Ismaik, der seit seiner überraschenden Beförderung zum Geschäftsführer Sport Poschners Vorgesetzter ist. "Poschi war nicht hundertprozentig konzentriert. Es war ja nicht klar, wie es mit ihm weitergeht", sagte Basha dem Münchner Merkur - und deutete an, dass Poschner außer Konzentrationsschwierigkeiten noch weitere Probleme beschäftigen könnten: "Poschi ist ein Alphatier. Er hat seinen Stolz. Er braucht Zeit, um die Situation zu akzeptieren."

Basha meinte: zu akzeptieren, dass Basha nun sein Chef ist. Was Basha nicht sagte: Dass sowohl Konzentrationsschwäche als auch gekränkte Eitelkeit in der Branche kaum als Entschuldigungen dafür akzeptiert werden dürften, dass ein Sportchef seine Transferbemühungen eingestellt hat.

Poschner spekuliert wohl auf das Ende der Transferperiode

Aber so wird es Poschner, der sich zu der Thematik kurz vor Saisonstart nicht äußern möchte, auch garantiert nicht sehen. Schon beim Trainingsauftakt vor einem Monat hatte er - sicher nicht zufällig - darauf hingewiesen, dass die Transferperiode bis Ende August andauert. Sehr viel wahrscheinlicher ist also, dass Poschner der Meinung ist, dass sich die geschickteren Transfers erst gegen Ende der Wechselfrist realisieren lassen.

Dann sind Spieler verfügbar, die anderswo nicht unterkommen. Und die mutmaßlich günstiger sind. Es läuft womöglich ähnlich ab wie im Vorjahr: Damals wünschte sich der holländische Fußballlehrer Ricardo Moniz sehnsüchtig die Verpflichtung von Stürmer Daniel Böde. Poschner lehnte Böde ab. Auch, weil er sich nicht mit dessen Berater einigen konnte. Poschner holte lieber den dann doch kostspieligen Spanier Rodri, der sein Königstransfer werden sollte. Am 29. August.

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SZ vom 22.07.2015
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