Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Team Sky triumphiert beim Pokerspiel

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Von Johannes Knuth, Alpe d'Huez

Für einen Moment fuhren sie einträchtig nebeneinander, als würden sie sich schon auf der zeremoniellen Abschlussfahrt zum Champs-Élysées befinden. Aber die vier Fahrer steckten gerade mitten in der wohl schlimmsten Schinderei, die die Tour in diesem Jahr bereithielt, die letzten Kehren hinauf nach Alpe d'Huez. Und so rollten sie am Donnerstag bergauf, Romain Bardet, Tom Dumoulin, Christopher Froome und Geraint Thomas, wie vier Pokerspieler vor der finalen Runde: Wer würde als erster seine Karten spielen, wer hatte das beste Blatt - im Kampf um den Tagessieg, ein bisschen auch mit Blick auf die Gesamtwertung?

Am Ende war es wieder ein triumphaler Tag für die britische Equipe Sky, auch wenn der Tag nicht ganz dem erwarteten Skript folgte. Es war nicht Froome, sondern Thomas, der sich auf den letzten Metern von den Verfolgern löste und gewann; er verteidigte auch sein Gelbes Trikot, das er am Tag zuvor bei der Bergankunft in La Rosière angelegt hatte. Froome wurde Vierter, hinter Dumoulin und Bardet. Der Titelverteidiger und viermaliger Tour-Sieger aus Großbritannien hat nun schon 1:39 Minuten auf seinen Adjutanten eingebüßt. Die ersten Vorboten eines Thronwechsel? "Froome ist weiter unser Leader", sagte Thomas, "ich kann nächste Woche noch viel Zeit verlieren. Aber wir werden sehen." Der besagte Leader verweigerte zunächst einmal die Aussage.

Um neun Uhr waren sie am Donnerstag in Scharen nach Alpe d'Huez gepilgert, mit seinen 21 mythenumwehten Kehren. In Kurve sieben warteten die Holländer, wie immer, sie trugen Trikots, Warn- oder Bauarbeiterwesten, alles, was halt orange leuchtete. Kurve sieben feierte routiniert seine Ganztagesparty, bei der es in den vergangenen Jahren auch schon mal zu einem Grillgelage auf dem gegenüberliegenden Friedhof gekommen war. Als die Fahrer rund acht Stunden später heranrauschten, erlebten die Niederländer dann ein großes Hallo, ihr Landsmann Steven Kruijswijk hatte sich vom Peloton abgesetzt.

Aber so, wie die Favoriten dem Niederländer hinterherjagten, war bald klar, dass es für ihn nicht reichen würde. Sky hielt wie immer das Tempo hoch, erstickte alle Attacken, als würden ein paar Mittelklassenwagen versuchen, einer Flotte Ferraris zu entwischen. Erst auf den letzten Kilometern zerbröselte die Gruppe, Vincenzo Nibali stürzte (kämpfte sich aber zurück), am Ende kam es zum Spurt der vier Besten. Wenn Thomas in den Bergen weiter so zuverlässig bei seinem Kapitän bleibt und Sekunden abknöpft, könnte das eine interessante Schlusswoche bei dieser Tour werden.

Die größten Bauchschmerzen dürfte Sky aber der Umstand machen, wie das Publikum am Donnerstag auf Froome einwirkte, der vor der Tour einen undurchsichtigen Freispruch in seiner Dopingaffäre erhalten hatte. Der Brite wurde beschimpft, bespuckt, geschubst, auch Thomas wurde auf dem Podium ausdauernd ausgebuht. Er warf zum Abschied seinen Blumenstrauß ins Publikum.

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Quelle:
SZ vom 20.7.18
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