Süddeutsche Zeitung

Tour de France:Sperren, Sprays und Schmerzmittel

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Der Radsport erweckt gerne den Eindruck, als sei seine schmutzige Epoche vorbei. Doch das Thema Doping hält sich rund um die Tour de France hartnäckiger, als es den Verantwortlichen und dem führenden Vincenzo Nibali lieb ist.

Von Johannes Aumüller, Chamrousse/Saint-Étienne

Da hatte der arme Vincenzo Nibali einen wirklich ungünstigen Zeitpunkt erwischt. Am Donnerstagabend saß der Italiener in Saint-Étienne, er freute sich, dass er im Gelben Trikot die erste schwere Alpen-Etappe angehen würde, er sprach über dieses und jenes, und dann flocht er noch einen Satz ein, der in weiten Teilen des Radsports gerade en vogue ist. "Doping", so erklärte Nibali, "ist ein Thema der Vergangenheit."

So ein Pech, dass fast zeitgleich auf der Webseite des Radsport-Weltverbandes (UCI) eine Information auftauchte, nach der erneut ein Profi wegen unregelmäßiger Blutwerte gesperrt worden war: der Brite Jonathan Tiernan-Locke vom Team Sky, der dominierenden Tour-Truppe der vergangenen zwei Jahre.

Tiernan-Locke war zwar nicht für die Tour nominiert, und die auffälligen Zahlen fallen auch noch ins Jahr 2012 und damit in seine Zeit beim Zweitliga-Team Endura, das 2013 mit der deutschen Mannschaft NetApp fusionierte. Aber unangenehm war der Fall für Sky dennoch - zumal erst im Frühjahr bei teaminternen Kontrollen der Kolumbianer Sergio Luis Henao auffällige Werte hatte.

Doch nicht nur wegen der Sperre für Tiernan-Locke ist Doping im Radsport keineswegs ein Thema der Vergangenheit, wie es Nibali gerne hätte, sondern immer noch ein massives Thema der Gegenwart.

Das zeigte sich schon in den Wochen vor der Tour an diversen Fällen. Der italienische Rundfahrer Diego Ulissi: positiv auf Salbutamol. Der Südafrikaner Daryl Impey, 2013 Träger des Gelben Trikots bei der Tour: positiv auf das Verschleierungsmittel Probenecid. Der Tscheche Roman Kreuziger: von seiner Saxo-Mannschaft wegen auffälliger Werte im Blutpass aus dem Aufgebot gestrichen. Um die Fahrer herum wirken noch einschlägig vorbelastete Ärzte und Sportliche Leiter; auch die Nutzung mancher Präparate zeugt von der Mentalität, alles einzunehmen, was irgendwie schneller macht.

Der inzwischen ausgestiegene Tour-Favorit Christopher Froome nutzte im Frühjahr während eines Rennens ein Asthma-Spray und, dank einer Ausnahmegenehmigung der UCI, ein kortisonhaltiges Medikament - beides nicht verboten, aber beides Vorgänge, die kritische Beobachter argwöhnen lassen. Aktuell steht, das belegen diverse Aussagen, das Schmerzmittel Tramadol im Peloton hoch im Kurs. Auch das ist offiziell nicht verboten, aber schon seit 2012 Teil des Monitoring-Programmes der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) - Experten zufolge könnte es bald auf der Verbotsliste landen.

Die Teams, die sich in der Mouvement Pour un Cyclisme Crédible (MPCC; Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport) zusammenschlossen, lehnen es schon jetzt ab. Abseits dieser Mittel im Grenzbereich des Legalen halten sich am Rande des Felds hartnäckig Gerüchte über den Einsatz modernerer Ausdauerverstärker wie Aicar, GW 1516 oder als neueres Präparat aus der Epo-Reihe das Produkt Epo-Fc.

Da passt es ins Bild, dass auch die UCI die von ihrem neuen Präsidenten Brian Cookson gepriesene "neue Transparenz" in Dopingfragen höchst eigenwillig interpretiert. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass sie den früheren Katjuscha-Fahrer Denis Menschow, der im Mai 2013 offiziell wegen Kniebeschwerden sein Karriereende erklärt hatte, für zwei Jahre gesperrt habe und dessen Tour-Ergebnisse seit 2009 gestrichen würden - unter anderem der dritte Platz 2010.

Der Fakt als solcher überraschte kaum; der Russe fuhr unter chronischem Dopingverdacht, unter anderem in der Affäre um die Wiener Blutbank war sein Name gefallen. Erstaunlich aber war, wie die UCI den Fall abhandelte: Sie publizierte die Sanktion zunächst nicht offensiv in einer separaten Mitteilung, sondern versteckte sie in einem Dokument auf ihrer Homepage, in dem alle aktuell gesperrten Fahrer aufgelistet sind und das ab und zu aktualisiert wird - erst später erfolgte die Extra-Meldung. Der Grund laut UCI: Menschow sei bereits zurückgetreten, zudem sei es Usus, nur die Sanktionen gegen große Namen separat zu verkünden.

Das Vorgehen wirft heikle Fragen auf. Denn der Eigner des Katjuscha-Teams ist der Oligarch Igor Makarow, der Cookson im Wahlkampf im vergangenen Jahr massiv unterstützte. Überhaupt ist die Rolle des Rennstalles dubios: Katjuscha teilte mit, dass der Fahrer bereits 2013 das Team über die UCI-Ermittlungen unterrichtet habe - deswegen und wegen der Knieprobleme habe Menschows Vertrag geruht. Mit anderen Worten: Der Rennstall half zumindest nicht zur Aufklärung, als der Fahrer die Verletzung als Rücktrittsgrund nannte. Das ist eine recht erstaunliche Haltung für ein Mitglied der MPCC. Auf die Frage, ob das für das russische Team Konsequenzen habe, antwortete die Organisation nicht.

Rein formal bewegte sich das Vorgehen der UCI innerhalb der Regeln. Die Wada verlangt, dass der Verband entsprechende Fälle spätestens nach 20 Tagen auf seiner Internetseite veröffentlicht. Die UCI habe korrekt gehandelt, teilte die Wada auf Anfrage mit. Zugleich wies sie darauf hin, dass es im Reglement heißt, die Publikation habe "mindestens" durch eine Veröffentlichung auf der Webseite zu erfolgen.

Der nächste Paukenschlag deutet sich derweil in Washington an: Dort sprach, wie erst jetzt bekannt wurde, schon im Mai der gefallene Dopingsünder Lance Armstrong mit der UCI-Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Der war einst ein Kompagnon der damaligen UCI-Granden Hein Verbruggen und Pat McQuaid, die im Verdacht stehen, die Dopingvergehen des Texaners gedeckt zu haben. Nach seiner lebenslangen Sperre hat sich Armstrong von ihnen distanziert. Und seine jüngsten Interview-Aussagen legten nahe, dass er jetzt etwas präziser auspacken möchte als bei seinem inhaltsleeren Fernsehgeständnis bei Oprah Winfrey.

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Quelle:
SZ vom 19.07.2014
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