Süddeutsche Zeitung

Tennis:Da schluckst du

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Viele deutsche Tennisprofis bekommen es in Paris mit schweren Auftaktgegnern zu tun. Am härtesten trifft es Yannick Hanfmann, der dem Seriensieger Rafael Nadal gegenüber stehen wird.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Yannick Hanfmann schlenderte am Freitag als Tourist durch Paris, ein entspannter Nachmittag sollte das werden, mit seiner Schwester. Da erhielt er eine SMS. "Ist nicht ernst, oder!", schrieb ein Freund aus Deutschland. Hanfmann ahnte etwas, doch er checkte lieber noch mal das aktualisierte Draw. Die Auslosung. Ganz unten, an vorletzter Stelle, stand: Y. Hanfmann (Q). Q für Qualifikant. An letzter Stelle: R. Nadal. "Tja", sagt Hanfmann. Er sitzt auf der Terrasse des Trainingsgeländes Jean Bouin gegenüber dem Hotel Molitor, die Sonne scheint. "Der Nachmittag wurde doch eher hektisch." Bekannte meldeten sich, erste Medienanfragen erreichten ihn.

An diesem Montag darf, muss, kann, je nach Lesart, Hanfmann, 27, aus Karlsruhe, Mitglied des Leistungszentrums in Oberhaching, die Nummer 184 der Weltrangliste, gegen Rafael Nadal antreten. Der 32 Jahre alte Spanier hat in Paris elfmal gewonnen. Das ist sein Territorium, so wie Löwen die Savanne für sich beanspruchen. Die Aussicht: 15 000 Zuschauer im nigelnagelneu wieder aufgebauten Court Philippe Chatrier blicken auch auf ihn, den unbekannten Herausforderer. "Geil", ruft ihm seine Schwester Ini zu, eine Profitänzerin, die schon im TV-Format Let's Dance mitwirkte: "In dem Stadion gegen ihn zu spielen, ist klasse." Hanfmann erwidert trocken: "Du musst auch nicht gegen ihn spielen!"

"Keiner hisst die weiße Fahne", sagt Hanfmanns Trainer angesichts des Gegners Nadal

In zwei Wochen, wenn die Finals anstehen, werden solche Begebenheiten längst vom Verlauf der 123. French Open verschluckt sein. Vielleicht wird sich der eine oder die andere durchkämpfen im 128er-Tableau. Aber nur wenige werden sich an die erinnern, die noch vor dem ersten Match den ersten Tiefschlag kassierten - und Lospech verarbeiten mussten. Viele deutsche Profis haben diesmal schwere Gegner zugeteilt bekommen. Cedrik-Marcel Stebe trifft auf den Russen Karen Chatschanow, Jan-Lennard Struff auf den Kanadier Denis Shapovalov. Maximilian Marterer unterlag dem Griechen Stefanos Tsitsipas. Der Kölner Oscar Otte, als Lucky Loser der Qualifikation nachgerückt, begegnet nach dem 6:3, 6:1, 4:6, 6:0 gegen den Tunesier Malek Jaziri nun Roger Federer.

"Es wäre lustig, wenn er den Namen Oscar Otte kennen würde", sagte er demütig. Wie geht man in diese sehr ungleichen Duelle? "Das ist kein Lospech zunächst mal für mich", deutet Hanfmann die Situation für sich. Er will dankbar sein dafür, in einem Grand-Slam-Hauptfeld zu stehen, zum zweiten Mal. 2018 stand er in Runde eins der US Open. "Zugelost werden ist toll", findet er. Es dauert nicht lange, da gibt er zum Worst-Case-Szenario Nadal jedoch zu: "Natürlich schluckst du." Weil aber "keiner die weiße Fahne von sich aus hissen wird", wie Hanfmanns Trainer Lars Uebel sagt, wurde sofort die Vorbereitung eingeleitet. Schwerpunkt: Was muss man mental beachten? "In den ersten Spielen werde ich vielleicht schon erstaunt schauen", sagt Hanfmann. Er kennt noch nicht den extremen Linkshänder-Topspin Nadals, der sich wie eine Gewehrsalve anfühlen muss. Klar, sie werden das ganze Programm auffahren, Videoanalyse, Taktikbesprechung, trainieren mit einem Partner, der Nadal ähnelt. Nur: "Den kann keiner imitieren, er ist einzigartig", sagt Uebel. Mit dem indischen Linkshänder Prajnesh Gunneswaran hat Hanfmann Bälle geschlagen. Am Sonntag durfte er erstmals den Platz Philippe Chatrier betreten und spielte Marterer ein. Im Vorjahr hatte Marterer das Achtelfinale erreicht und durfte dort in den Rachen von Nadal blicken; er schlug sich in drei guten Sätzen achtbar. "Aber jede Situation ist anders", sagt Hanfmann. Ihm kann keiner helfen, wenn er auf dem Platz steht.

Das Schwierige ist, dass die Etablierten völlig Gewohntes erleben. Und die Außenseiter aufregend Neues. "Es geht darum, die richtige Mischung an Anspannung, Lockerheit, Selbstglaube, Mut zu finden", sagt Dieter Kindlmann. Der 36 Jahre alte Allgäuer aus Sonthofen war Profi, dann drei Jahre Hitting-Partner von Maria Scharapowa, nun trainiert er die Australierin Ajla Tomljanovic, 47. im Ranking. Ihr Los: die Titelverteidigerin Simona Halep aus Rumänien. Als der Name fiel, herrschte erst mal Frust. "Gerade für Spielerinnen aus der zweiten und dritten Reihe ist auch nur eine gewonnene Grand-Slam-Runde enorm wichtig", sagt Kindlmann. Ein Sieg heißt: Davon können Coach, Physio oder Reisen ein Jahr bezahlt werden. Und jede Runde bringt mehr Punkte für die Weltrangliste. Deshalb bleibt nur die Flucht nach vorne. "Wenn du die Topleute schlagen kannst, dann in den ersten Runden", weiß Kindlmann, der als Trainer mit Madison Keys 2017 im Finale der US Open stand: "Sie müssen auch ihren Rhythmus finden."

Nadal mit Tricks zu reizen, könnte natürlich Minuspunkte einbringen beim Publikum

Genau diesen hofft Hanfmann bei Nadal zu stören - indem er versucht, "mein eigenes Spiel zu spielen". Bei ihm ist das: ein harter Aufschlag, variantenreiche, freche Schläge. Die New York Times nannte ihn einen "big hitter", das gefällt ihm. Tatsächlich überlegt Hanfmann, mal von unten aufzuschlagen, weil Nadal stets weit hinten steht beim Return. Nick Kyrgios (der in Paris zurückzog) hat diesem Schlag zum Comeback verholfen, der einst von Michael Chang in Paris gegen Ivan Lendl in Perfektion zelebriert wurde. "Lieber mit Anstand verlieren als so", ruft ihm seine Schwester Ini heiter, aber streng zu. Hanfmann nickt entspannt. Er weiß nicht, ob er das gegen Nadal bringen kann, ihn so zu reizen. Das könnte auch Minuspunkte beim Publikum bringen. Zuversicht geben ihm immerhin seine zwei starken letzten Siege in der Qualifikation, gegen den Österreicher Sebastian Ofner und den Tschechen Lukas Rosol. Sollte Hanfmann verlieren, hat womöglich gleich der nächste Deutsche das Vergnügen mit Nadal. Der Stuttgarter Yannick Maden, auch ein Qualifikant, muss dafür erst mal den Belgier Kimmer Coppejans besiegen.

Genießen, das hat sich Hanfmann in jedem Fall vorgenommen, will er das besondere Match schon. "Einmal klappt das damit auch gut", erinnert sich Kindlmann, der sechs Mal in Grand-Slam-Hauptfeldern stand - und fünfmal Brocken erwischte. Zweimal Nikolai Dawidenko, einmal Andre Agassi. "DAS war wirklich Lospech, da zweifelt man dann schon", sagt er und lacht: "Man will ja auch mal eine Runde weiter kommen."

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SZ vom 27.05.2019
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