Süddeutsche Zeitung

Sportmedizin an der Uniklinik Freiburg:Dopen auf Leben und Tod

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Ärzte sollen Atteste gefälscht, Zahlungen verschleiert und trotz medizinischer Bedenken weiter gedopt haben: Ein Bericht zur Uniklinik Freiburg zeichnet ein dramatisches Betrugssystem.

Thomas Kistner

Hans-Joachim Schäfer war "platt", als er von der Spiegel-Veröffentlichung des Abschlussberichts seiner Expertenkommission erfuhr, die seit 2007 Dopingvorwürfen gegen Sportärzte der Freiburger Uniklinik nachgehen. "Ich sitze zuhause und schreibe noch daran", sagte der frühere Präsident des Reutlinger Sozialgerichts der SZ, bei dem nun publik gewordenen Papier müsse es sich um Zwischenberichte an die Universität handeln. Was die Sache, neben dem brisanten Inhalt, endgültig zum Politikum macht. Heimlich lanciert hat das Papier offensichtlich ein Insider, aus "Gewissensnot", wie es intern heißt: Aus Sorge, es könne noch "dirigistischer Einfluss" auf den Endbericht genommen werden. Klar erkennbar richtet sich die Indiskretion gegen den Auftraggeber, die Universität. Deren Spitze soll mit der Schäfer-Kommission Mitte April die nun veröffentlichten Textteile erarbeitet haben.

Immer mehr weist darauf hin, dass die als "unabhängig" betitelte dreiköpfige Kommission (Schäfer, Dopinglaborchef Wilhelm Schänzer/Köln und Pharmakologe Ulrich Schwabe) nicht so frei war, wie offiziell behauptet wird. Die Uni hatte sogar eine Juristin zur Geschäftsführung delegiert, es heißt intern, zu Inhalten und Stoßrichtung der Prüfung habe nicht immer Einigkeit geherrscht. Vor allem zu Vorgängen um den 2000 verstorbenen Doyen der Freiburger Sportmedizin, Joseph Keul, habe die Kommission nicht den erwünschten Zugang erhalten. Dabei zeigen nicht nur dessen frühere Aussagen, sondern auch heikle Finanzfragen um seine bisher kaum bekannte Nenad-Keul-Stiftung und die paar Spuren, die sich im Schäfer-Papier zu ihm finden, klare Verbindungen mit dem knallharten Geschäft, das seine Schützlinge betrieben. Zuweilen soll diese Praxis gar lebensbedrohlich gewesen sein.

So soll, wie der Spiegel berichtet, neben dem Kronzeugen Patrik Sinkewitz am 2.Juli 2006 zwei weiteren deutschen Profis in Freiburg von Sportarzt Andreas Schmid Eigenblut infundiert worden sein: Andreas Klöden und Matthias Kessler. "Die Kommission geht davon aus, dass an diesem 2. Juli (...) auch Kessler und Klöden mit Eigenblut gedopt haben", so das Magazin. Klöden, heute für den sogar von der Tour 2008 ausgesperrten Astana-Stall unterwegs, gilt als bester deutscher Radprofi, Doping bestritt er stets. Kessler ist wegen Dopings bis 26.Juli 2009 gesperrt. Beide äußerten sich laut Spiegel nicht zu dem Vorwurf.

Schmid und Kollege Lothar Heinrich sollen seit 1995 bis mindestens 2006 bei dem deutschen Fernmelde-Radrennstall systematisch gedopt haben. Bisher geben die beiden Dopingaktivitäten nur für den strafrechtlich nicht mehr relevanten Zeitraum bis 1999 zu. Doch auch die Version ist laut Freiburger Staatsanwaltschaft, die ihrerseits seit 2007 ermittelt, längst massiv erschüttert. Die Ermittler stießen vor Monaten auf einen früheren T-Mobile-Profi, der Hilfreiches über Epo-Gaben von etwa 2003 bis 2005 aussagte, dieser Zeitraum wäre für eine Strafverfolgung der Ärzte relevant. Mehr bestätigt Wolfgang Maier, Sprecher der Freiburger Staatsanwaltschaft, bisher nicht. Aus Schutzgründen, wie er sagt, weil sonst Zeugen "stark angegangen" werden. Auch besagter Fahrer habe sich bei seiner zweiten Einvernahme bitter beklagt, er werde "aus früheren Kollegenkreisen bedroht”.

Die Ärzte sollen Atteste gefälscht und Zahlungen verschleiert haben. Direkt nach Jan Ullrichs Suspendierung bei Telekom 2006 habe Schmid gar bei einer Bluttransfusion Profi Sinkewitz dem "Risiko schwerster Komplikationen" ausgesetzt. Nachdem die Infundierung des ersten Beutels abgebrochen werden musste, weil das Blut klumpte, sei einfach der nächste Beutel angesetzt worden. Auch hier habe der Infusionsvorgang abgebrochen werden müssen. Doch trotz des halben Liters Blut, "das offensichtlich nicht in Ordnung war", sei Sinkewitz zurück ins Rennen geschickt worden.

"Das ist in Kauf genommene Körperverletzung", sagt Dopingexperte Werner Franke dazu. Ein Kommissionsmitglied sagte der SZ am Sonntag, man liefere mit diesem Vorwurf "dem Staatsanwalt und der Approbationsbehörde Argumente", das sei auch Sinn der Arbeit. Laut Bericht waren Apotheken im Schwarzwald und in Mailand Lieferant der zwecks Doping bestellten Arzneien. Für die Saison 2006 hätten Schmid und Heinrich allein in Elzach zwei Drittel aller Mittel im Gesamtwert von gut 20000 Euro geordert.

Trotz scharfer Detailarbeit drang die Kommission offenbar nicht in die Tiefe der jahrelangen Gesamtaffäre vor. Sie findet, Heinrich und Schmid hätten an der Uniklinik ohne Mitwisser gehandelt, wiewohl bisher fünf Ärzte involviert wurden. Auch für eine aktive Rolle Keuls fand sie keine Belege. Dass dieser tiefgekühlte Dopinglieferungen an Radprofis abzeichnete, zählt offenbar nicht dazu. Vielleicht hat Deutschlands bekanntester Olympiaarzt ja geglaubt, da werde Speiseeis verschickt.

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Quelle:
SZ vom 27.04.2009
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