Süddeutsche Zeitung

Special Olympics:Sie wollen dasselbe

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"Die inklusivsten Spiele bisher": Bei den Special Olympics in Abu Dhabi treten so viele Athleten mit und ohne geistige Behinderung gemeinsam an wie noch nie. Das Ereignis soll auch Vorurteile beim Gastgeber entkräften.

Von Sebastian Fischer, München

Wenn Dominik Markuszewski über seinen Sport spricht, dann sagt er das Wesentliche in einfachen Worten. Im Basketball werde man immer wieder eingewechselt, nicht nur einmal pro Spiel wie im Fußball. Es ist also mehr los, das mag er. "Immer gewinnen, gut spielen, Spaß haben", darum geht es ihm. Und sein Lieblingsspieler ist Dirk Nowitzki, "weil er halt cool ist".

Für Stefan Hübner ist Nowitzki auch ein sportliches Vorbild, er begründet das bloß ein bisschen komplexer. Hübner spricht dann über die Biografie des berühmtesten deutschen Basketballers, dessen Erfolge und Charakterzüge. Aber eigentlich meinen Markuszewski und Hübner dasselbe. Vor allem teilen sie die Leidenschaft für ihren Sport. Und warum sollten sie dann nicht gemeinsam spielen?

Der Essener Markuszewski, 23, arbeitet zurzeit in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, er hat eine Lernschwäche. Hübner, 36, arbeitet als Projektleiter in der Medizintechnik. Wenn an diesem Freitag in Abu Dhabi die Wettkämpfe bei den World Games der Special Olympics beginnen, dann treten beide im "Basketball Unified" zusammen in einer Mannschaft für Deutschland an. Sie verkörpern damit die Essenz einer Sportbewegung.

Wenn in Deutschland von Behindertensport die Rede ist, dann denken die meisten Menschen an die Paralympics, an Sprinter mit Karbonprothesen etwa. Die Special Olympics, Spiele für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, stehen in der Bekanntheit dahinter. Sie verfolgen allerdings auch einen anderen Ansatz: Es geht weniger um die Leistung, sondern in erster Linie um Freude am Sport. Und es geht um Inklusion, das hierzulande in seiner Umsetzung noch immer umstrittene Konzept der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Zu den Sommerspielen in Abu Dhabi sagt Sven Albrecht, der Geschäftsführer von Special Olympics Deutschland (SOD): "Das sind die inklusivsten Spiele bisher."

132 Athleten sind für Deutschland nach Abu Dhabi geflogen. Neben jenen Sportlern, die in Wettbewerben mit und gegen andere Menschen mit Behinderung antreten, stellt die deutsche Delegation auch neun Unified Teams, also Gemeinschaftsmannschaften, in denen Athleten mit und ohne Behinderung antreten. Dafür sind in Abu Dhabi 31 sogenannte Partner dabei, einer davon ist Stefan Hübner aus Hagen.

Dort, im Süden des Ruhrgebiets, hatte der Förderschullehrer Heinz-Werner Schmunz vor rund zehn Jahren eine Idee. Unified Sports gibt es in Deutschland offiziell seit 2008. Und Schmunz wollte seine Basketball-AG auch nach der Schule weiter trainieren, so erzählt er es. Er fragte in der Stadt herum, wer Lust habe, mit geistig behinderten Schülern zu spielen. So entstand ein Team, das zunächst außer Konkurrenz antrat. Inzwischen spielt der TSV Hagen Unified in der Kreisliga 2.

Stefan Hübner, der zur Mannschaft kam, weil er vorher seinen Zivildienst in Schmunz' Förderschule geleistet hatte, sagt über sein erstes Training: "Man konnte auf dem Spielfeld gar nicht sofort sagen, wer ist Athlet, wer ist Partner? Das fand ich spannend." In den ersten Spielen, erinnert er sich, hätten die Gegner oft nicht gewusst, wie sie sich verhalten sollen. "Nachdem sie ein paar Mal verloren haben, hat sich die Einstellung verändert." Der TSV Hagen Unified, zu Beginn noch oft Tabellenletzter, wurde für die Konkurrenz zu einem ganz gewöhnlichen Gegner.

Trainer Schmunz, 66, hat seitdem miterlebt, wie Freundschaften zwischen Sportlern mit und ohne Behinderung entstanden, und wie seine früheren Schüler an Selbstbewusstsein gewannen. Er ist niemand, der das Konzept der Teilhabe romantisiert, für die Umsetzung in der Schule brauche es vor allem mehr Geld. Aber er sagt: "Kunst, Sport und Musik, da kann man Inklusion gut durchsetzen." Der deutsche Special-Olympics-Verband SOD, seit vergangenem Jahr anerkannter Spitzenverband im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), nennt Unified Sports "ein wirkungsvolles Praxisbeispiel".

Es gibt auch eine deutsche Basketballmannschaft bei den Special Olympics, die allein aus Spielern mit geistiger Behinderung besteht, es ist ein Team aus Amberg. Die Unified-Mannschaft setzt sich aus zwei Teams zusammen, dem aus Hagen und einem aus Essen, in dem auch Dominik Markuszewski spielt und trainiert. Schmunz ist in Abu Dhabi der Chefcoach. Es spielen immer jeweils zwei Partner, also Spieler ohne Behinderung, und drei Athleten, also Spieler mit Behinderung.

Nun ist das Team einerseits ein Positivbeispiel - andererseits zeigt es die Herausforderungen in Deutschland auf. In NRW, sagt Partner Hübner, wisse er nur von den Basketballteams aus Essen und Hagen, die Menschen mit und ohne Behinderung zusammenbringen. SOD-Geschäftsführer Albrecht sagt: "Es gibt tolle Modelle, aber von einem flächendeckenden Angebot sind wir weit entfernt." In Deutschland existiere noch immer viel Unkenntnis zum Thema. Von rund einer halben Million Menschen mit geistiger Behinderung treiben laut SOD nur rund 40 000 organisiert Sport, viele in speziellen Einrichtungen, eher wenige in Vereinen. Erst drei Landessportbünde - Thüringen, Sachsen-Anhalt und Saarland - haben laut Albrecht die entsprechenden Special-Olympics-Landesverbände als Fachverbände anerkannt.

In Abu Dhabi sind die deutschen Sportler dennoch als Botschafter unterwegs, so formuliert es Albrecht. Er war zunächst skeptisch über die Wahl des Ausrichters. "Geistige Behinderung ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten bis zur Vergabe der Spiele weitestgehend ein Tabuthema gewesen", sagt er. Trainer Schmunz berichtet am Telefon von viel Herzlichkeit, aber auch von Naivität: Während der Eingewöhnungstage in Schardscha nördlich von Dubai seien die Athleten zum Teil wie Kinder behandelt worden, es wurde zur Unterhaltung Topfschlagen angeboten. Albrecht sagt: "Wir wollen zeigen, wie selbstverständlich die Athleten für sich selbst sprechen, selbstbewusst und selbstbestimmt." Die nächsten Sommerspiele der Special Olympics finden 2023 in Berlin statt.

Es geht also nicht vorrangig um Medaillen. Stefan Hübner, der weiter auch in der Landesliga spielt, sagt, er sei beeindruckt von der Fairness bei den Special Olympics. Aber natürlich will er gewinnen. Er sagt: "Das ist auch etwas, das uns verbindet." Dominik Markuszewski sagt es so: "Man muss Vollgas geben. Dann schafft man das schon irgendwie."

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SZ vom 15.03.2019
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