Süddeutsche Zeitung

Österreichs Skispringer:Das Virus aus dem Pkw

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Trotz aller Vorsicht hat sich Österreichs Skisprung-Team fast komplett mit Corona infiziert. Viele Saisonziele sind schon jetzt unerreichbar.

Von Volker Kreisl, München

Man hat sich an alles gehalten. Das A-Team, das B-Team, alle Skispringer waren rechtzeitig vor Saisonbeginn noch einmal beim Test. Danach ging es ab in die Team-Blase, zu den Wettkämpfen, dabei in eigene Appartements, mit eigenem Koch. Auch aufs Fliegen hatten Österreichs Skispringer verzichtet, lieber fuhren sie mit Sack und Pack und Negativtest in Fahrgemeinschaften zum ersten Weltcup nach Wisla im Westen Polens.

Wie konnte das also passieren? Nach knapp drei Wochen Skisprung-Weltcup ist fast das komplette Team des Österreichischen Skiverbandes (ÖSV) mit Corona infiziert, dazu auch Cheftrainer Andreas Widhölzl und ein weiterer namentlich nicht genannter Trainer. Sportdirektor Mario Stecher sagte der Tiroler Tageszeitung: "Wir haben gerade kein Skisprung-Team." Bis auf zwei Athleten hatten sich alle nach und nach infiziert, immerhin, alle sind nun zu Hause oder auf der Heimreise, auch jene, denen zunächst nach dem Weltcup in Nischni Tagil in Russland örtliche Quarantäne drohte.

Nun sind alle Saisonziele erst einmal Nebensache, fraglich ist ohnehin, ob trotz Heimreise ein ÖSV-Springer bei der Skiflug-WM ab Donnerstag in Planica/Slowenien dabei ist. Man wolle allerdings ein WM-Team stellen, hieß es beim ÖSV. Wie auch immer, wichtig ist zunächst die Gesundheit der Athleten und Betreuer und eine Antwort auf die Frage: Wie kam das Virus hinein, in die Blase?

Mit am stärksten betroffen ist Stefan Kraft

Die zweite Frage scheint wohl gelöst zu sein. Nach außen bestand kein Kontakt, und der Wettkampf selbst ist im Skispringen grundsätzlich sicher. Auf dem Weg zum Absprungbalken herrscht Abstand, beim Flug selber ist man allein - und wenn Seitenwind beim Skispringen einmal nützlich ist, dann jetzt, zum Verblasen der Viren. Die Österreicher haben also intern recherchiert und kamen zu dem Schluss, dass in der Tiroler Fahrgemeinschaft (Gregor Schlierenzauer, Philipp Aschenwald und Trainer Widhölzl) ein Test wohl negativ ausgefallen war, obwohl der Betreffende bereits Viren hatte. Dieses Tiroler Virus müssen dann die weiteren Teamkollegen aus den anderen Leistungszentren in Wisla erwischt haben.

Die andere Frage, die nach der Gesundheit und der Performance dieser für den Weltcup und seiner Spannung so wichtigen Spitzenmannschaft in diesem Winter, ist völlig offen. Philipp Aschenwald, 25, hat die Infektion, wie es aussieht, recht gut überstanden, bei den anderen müssen die Trainer noch abwarten. Mit am stärksten betroffen ist Stefan Kraft, der Gewinner der Vierschanzentournee von 2015, Weltmeister von 2017 und Gesamtweltcupsieger des vergangenen Winters. Suchte man einen Skispringer, der außergewöhnlich stabil ist, vielseitig, und immer bis zum letzten Saisonspringen in bester Form, dann käme man auf Kraft.

Das Virus aber hat ihm zuletzt schwer zu schaffen gemacht. Kraft klagte über diverse Symptome und hat deutlich an Energie eingebüßt. Er sagt zwar, er gebe alles, um nun zur Skiflug-WM fit zu sein, jedoch weiß er auch: "Mein Fitnesszustand ist bei weitem noch nicht so, dass ich Bäume ausreißen könnte." Auch Gregor Schlierenzauer, der einstige Dauersieger, der allmählich wieder eine stabile Technik gefunden hatte, klagt über den Krankheitsverlauf.

Ob daraus geschlossen werden kann, dass Skispringer besonders anfällig sind, ist fraglich. Einerseits sind sie wie alle Wintersportler aus gutem Grund vorsichtig, teils auch etwas hypochondrisch gegenüber Viren aller Art, die in Mixed-Zonen, Fan-Ansammlungen oder auch auf dem Weg zum Teambus lauern können - stets gilt es, bloß nicht auskühlen. Doch das hat nichts speziell mit Corona zu tun, im Gegenteil, das innere Wintersportler-Bazillenradar hilft nun umso mehr. Auch die Vermutung, dass Skispringer wegen ihres Leichtgewichts eher anfällig sind, kann wohl so pauschal nicht gelten. Was allerdings zu einem Problem erwachsen könnte, ist die ständige Begleiterin der Springer, jene rätselhafte und launische Diva: die Sprungform.

Der Nationencup ist für Österreich jetzt schon unerreichbar

Die meisten länger absenten Topleute dieses Sports brauchen Wochen bis Monate, ehe sie wieder Technik, Krafteinsatz und Geist für den Absprung so abgestimmt haben, bis das Hirn nicht mehr reinfunkt und der Körper die Sache wie von selbst regelt. Andreas Wellinger, 2018 Olympiasieger, hat nach seinem Kreuzbandriss nun seine erste Saison wieder begonnen und versucht gerade, überhaupt Einlass zum zweiten Durchgang zu finden. Oft haben auch schon leichtere Blessuren oder Krankheiten Springer zunächst aus dem Tritt gebracht. Vieles hängt davon ab, ob jemand zu Selbstzweifeln neigt, oder ob er die Gabe hat, schwere Aufgaben auch mit etwas Lässigkeit und Humor anzugehen.

In Stefan Krafts Worten: "Schmäh". Er wirkt nicht wie ein vergrübelter Sportler, nicht nur, weil er sehr breit grinsen kann, sondern auch, weil er sonst nicht diese bislang so konstante Karriere hingelegt hätte. Aber schon jetzt ist ihm klar: Die Verteidigung des Gesamt-Titels in diesem Winter wird nichts mehr. Genauso wenig, wie das gesamte österreichische Team sein Ziel erreichen wird, in dieser Saison wieder mal den Nationencup zu gewinnen.

Erst einmal will man realistisch bleiben. Erst einmal sind Sportdirektor Stecher und die Teamführung froh, wenn das wohl Zwangsläufige nicht eintritt. Nämlich, dass sich die letzten beiden Springer aus dem Weltcup-Kader, Markus Schiffner und Maximilian Steiner, auch noch infizieren.

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