Süddeutsche Zeitung

Ski-WM:"Bist du deppert, Romed, du Lauser"

Lesezeit: 4 min

Vor drei Jahren verließ Romed Baumann das österreichische Team - nun gewinnt er Silber im Super-G für Deutschland. Und Armin Assinger flippt aus.

Von Johannes Knuth, Cortina d'Ampezzo

Der ehemalige Skirennläufer Armin Assinger hat es in der Heimat zu einiger Berühmtheit gebracht und sogar darüber hinaus, er gewann vier Weltcups in der Abfahrt und im Super-G, aber fast noch bekannter ist Assinger mittlerweile dafür, wie er alpine Skirennen im ORF kommentiert. Seinen Auftrag als Experte interpretiert er, nun ja, ein wenig eigen, er seziert schon auch, ob der Ski auf Zug war und solche Sachen, während der Rennen brüllt und klatscht und schreit er aber auch gerne mal, 2006 etwa, als der Österreicher Michael Walchhofer sich fast schon als Olympiasieger in der Abfahrt fühlte. Bis der Franzose Antoine Dénériaz an der Reihe war, ein Außenseiter, "der Doni", wie Assinger sagte, der sich mit all seinem Mut ins Rennen warf, oder in Assingers Worten: "Ja, spinnt der denn, fährt der da oba wie die g'sengte Sau!"

Kurze Blende ins Jetzt, die Ski-WM in Cortina d'Ampezzo, der Super-G der Männer am Donnerstag. Der Österreicher Vincent Kriechmayr führte, der Deutsche Romed Baumann war an der Reihe, Startnummer 20, ein ambitionierter Außenseiter. Und Assinger schrie: "Romed, du wüüüda Hund, du, bist du deppert! Romed, du Lauser!"

Viele riefen ihm nach: "Da geht nichts mehr, der ist zu alt, der traut sich nichts mehr"

Man hätte die emotionalen Eruptionen ja schon gerne erlebt, hätte der 35-Jährige dem späteren Weltmeister auch noch die restlichen sieben Hundertstelsekunden abgeknöpft, die ihn im Ziel von dem ganz großen Bringer trennten. Es war ja der Österreichische Skiverband gewesen, der Baumann vor drei Jahren hatte ziehen lassen, viele riefen ihm damals nach, "da geht nichts mehr, der ist zu alt, der traut sich nicht mehr, der attackiert nicht, seit er seine Familie hat", wie Baumann, Vater zweier Töchter, sich nun erinnerte. Er zog dann halt zum Deutschen Skiverband (DSV) um, wo er wieder in die große Form schlüpfte, in der er schon mal war. Für Gold reichte es nun nicht ganz, aber Silber strahlte auch ziemlich hell, man sah es schon daran, wie Baumann vor Ergriffenheit vibrierte, als er sich bei der Siegerehrung die Medaille selbst umhängte - einer der vielen schrägen, behördlichen Pflichten des Corona-Protokolls, die ihm freilich wenig ausmachte. "Ich war ganz unten, sportlich gesehen", hatte Baumann kurz zuvor noch gesagt, er lächelte kurz, "jetzt bin ich fast ganz oben."

Man muss sich seine Geschichte immer noch mal in Gänze zu Gemüte führen, so unglaublich ist sie: 15 Jahre war er eine der verlässlichen Kräfte im ÖSV, knapp 300 Starts im Weltcup, zwei Siege, zehn Podien, WM-Bronze in der Kombination (2013) und mit der Mannschaft (2011). Rennfahrer sind im ÖSV aber immer auch kleine Ein-Mann-Betriebe, sie repräsentieren Landesverbände und Skihersteller, wer nicht ständig liefert, wird von der gewaltigen Konkurrenz irgendwann halt hinaus gedrängt. Als Baumann vor drei Jahren nach Kitzbühel reiste, war er schon zwei Jahre durch ein Tal gewandert, im Trainingslauf auf der brutalen Streif dachte er zunächst, seine Skikanten seien nicht geschliffen, so überfordert war er. Später fand er heraus, dass mit den Kanten alles in Ordnung war. "Der Tiefpunkt", hat er einmal gesagt.

Am Donnerstag stand Baumann im Zielraum, er schien noch mal kurz in diese Zeit zurück zu spulen, ohne Bitterkeit, aber auch ohne falsche Zurückhaltung: "Ich bin ein Mensch, der immer ein gutes Gefühl braucht", sagte er, und diese soziale Wärme habe er, der mit einer deutschen Frau verheiratet ist, damals halt nur bei den Nachbarn gefunden. Im DSV waren sie zunächst ein wenig skeptisch, aber wenn Christian Schwaiger, der Chefcoach, und sein Trainerteam in den vergangenen Jahren eines gezeigt hatten, dann das: "In diesem Sport", hat Schwaiger einmal im Gespräch gesagt, "hast du immer eine Chance."

Sie stellten im deutschen Team dann sehr schnell fest, dass Baumann nicht nur ein Kollektiv zum Anlehnen brauchte, sondern auch einer ist, "an dem man sich anlehnen kann", wie Alpinvorstand Wolfgang Maier nun sagte. Baumann nahm nicht nur, er gab auch viel, Betriebsgeheimnisse bei der Tüftelei an den Rennanzügen etwa, auch Tipps für die schweren Passagen der Weltcup-Abfahrten. Vor zwei Jahren startete er noch mit Startnummer 52 im Super-G, in der Nachbarschaft der Exoten, mit besseren Ergebnissen kam das Selbstvertrauen, mit dem Selbstvertrauen bessere Startnummern, und so weiter.

Im Vorjahr war Baumann in Kitzbühel schon wieder Siebter in der Abfahrt, in diesem Winter, als Thomas Dreßen nach einer Hüft-OP ausfiel, übernahmen dann eben Baumann und Andreas Sander, Neunter am Donnerstag, die Führungsrollen. Neunter, Achter, Siebter, Achter Fünfter war Baumann schon vor der WM geworden, seinen Startplatz hatte er da längst sicher. Und aus dem Selbstbewusstsein und der Freude heraus", sagte er in Cortina, "passiert dann auch was Besonderes".

Ein Sprung in eine Kompression mit scharfer Rechtskurve? Ihm machte das alles nichts aus

Das ist nun mal längst sein großer Vorteil: dass er den Gemeinheiten seines Sports kraft seiner Routine das Schwere nimmt. Dem Wetter etwa, das zuletzt halt ein bisschen "verzwickt" war, dem Warten, der neuen Schnellfahrertrasse in Cortina, die kaum einer kannte, der "schwierigste Super-G der Saison" (Sander), den sie dem Feld am Donnerstag vorsetzten. Nach dem Vertigine-Sprung federte es die Fahrer sofort in eine Kompression, danach folgte eine scharfe Rechtskurve, die ersten drei Starter rauschten allesamt am Tor vorbei. Und Baumann? "Ich habe mich selten so gut gefühlt im Starthaus", sagte er, "da denkt man nicht nach, da hat man keine Zweifel", und so fuhr er dann auch: Er steuerte nicht ganz so brutal durch die schwere Schlüsselpassage, aber so überführte er viel Tempo in den Schlussteil, mit den Gleitstücken auf dem griffigen Schnee, der ihm so sehr schmeckt.

Gleich im ersten Rennen eine Medaille, da fällt vieles ab. Die Hoffnungen im DSV etwa, aus ihrer Außenseiterrolle heraus zumindest eine Medaille bei den Männern zu gewinnen; im Super-G war ihr bester Ertrag bei einer WM bislang ein dritter Platz gewesen, 1987 von Markus Wasmeier. Der Druck für die Abfahrt am Sonntag löst sich natürlich. Und bei Baumann, klar: die Zweifel der vergangenen Jahre. "Es gibt so viele Menschen, die so an mich geglaubt haben", sagte er am Donnerstag im Ziel.

Die Tränen kamen dann von allein.

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