Süddeutsche Zeitung

Ski-WM in Garmisch: Riesenslalom:Rasende Minis

Lesezeit: 3 min

Vor den beiden Riesenslalom-Rennen der WM stellt sich die Frage: Sind in dieser Disziplin wirklich kleinere Läufer im Vorteil? Die Französin Tessa Worley (1,57 m) und der Amerikaner Ted Ligety (1,68 m) gelten als Favoriten auf den Sieg.

Christof Kneer

Es ist jetzt ein paar Wochen her, Maria Riesch saß in einem Kaminzimmer in einem der wenigen Hotels im Weltcup-Ort Zauchensee, die nicht dem Abfahrer Michael Walchhofer gehören. Sie plauderte über die anstehende Weltmeisterschaft, streifte kurz durch die Wettbewerbe, taxierte ihre Chancen in Super-G und Abfahrt, und als sie beim Riesenslalom angelangt war, sagte sie: "Da wird's schwer zu gewinnen, da haben ja die Kleinen einen Vorteil."

Es war dann leider keine Zeit, groß über diese These nachzudenken, denn ein Reporter hängte sofort die nächste Fachfrage an. Er wollte wissen, ob das Brautkleid schon ausgesucht sei, und falls nicht, wer das tue und wann. Maria Riesch antwortete, und die Kleinen waren vergessen.

An diesem Donnerstag könnten sich die Kleinen wieder ins Gedächtnis fahren, speziell jene Kleine, die Maria Riesch meinte, damals in Zauchensee: Tessa Worley, Französin, 21 Jahre alt, Weltcup-Führende im Riesenslalom. Sie hat in dieser Saison schon drei Rennen gewonnen, und das hat auch damit zu tun, dass sie vermutlich ungestreift unter einem Riesenslalom-Tor hindurchlaufen könnte.

Rasende Minis

Sie ist 1,57 Meter groß und 57 Kilo leicht und kämpft noch eine halbe Gewichtsklasse unter den deutschen Spezialistinnen Katrin Hölzl (1,62 m/57 kg) und Viktoria Rebensburg (1,68 m/65 kg). Der Führende im Riesenslalom-Weltcup der Männer, der Amerikaner Ted Ligety, misst im Übrigen 1,68 m. Er ist auch in Garmisch der Favorit.

Der Trend, dass man als rasender Mini am praktischsten um die Riesenslalom-Tore herumkommt, ist nicht ganz neu, es hat ja schon immer Athleten wie Kjetil André Aamodt (1,74 m) oder Martina Ertl (1,64 m) gegeben, die ihre Nähe zum Boden nutzten, um extrem kurze Schwünge zu setzen. In dieser Saison ist der Trend dank Worley und Ligety aber besonders gut sichtbar, so weit man rasende 157 Zentimeter überhaupt sehen kann. "Die saust wie der Blitz um die Tore", sagt Tom Stauffer, der Chefcoach des deutschen Frauenteams.

Er mag das Thema, er schnappt sich gleich einen Stift und malt Riesenslalom-Tore und Falllinien auf, um dem Trend eine sportwissenschaftliche Grundlage zu verleihen. Vereinfacht gesagt funktioniert das so, dass der Riesenslalom-Pilot - anders als der Slalomfahrer - nicht direkt auf die Stange zusteuert, sondern ums Tor herumkurvt. Noch vereinfachter gesagt: Ein Kleiner fährt an jedem Tor einen etwas kürzeren Weg, weil er mit seinem (kleinen) Körper näher ans Tor herankommt.

Es ist allerdings nicht so, dass alle Athleten über 1,75 m nun sofort die Ski abschnallen und panisch zum Basketball wechseln müssten. Zwar ist die Körpergröße in fast jeder Sportart ein Einflussfaktor, aber der alpine Skisport kontert all die wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten freundlicherweise mit ständig wechselnden Bedingungen. Ein Berg ist da leidenschaftslos, so einem Berg ist es egal, ob ein Riese ihn befährt oder ein Heinzelmännchen.

Christian Schwaiger, Techniktrainer der deutschen Frauen, empfiehlt deshalb beim Blick auf Tessa Worleys Siegerliste einen Seitenblick auf den Austragungsort. Sie gewinnt gerne in Aspen, aber nicht so gerne in Zwiesel. In Aspen steht eine der steilsten Riesenslalom-Pisten des Weltcups, in Zwiesel eine der flacheren. "Im Flachen", sagt Christian Schwaiger amüsiert, "da beschleunigen 80 Kilo mehr als 60."

Den Ski laufen lassen

Schwaiger steht täglich mit den Frauen am Hang, er kennt all seine Großen und Kleinen. Er kennt die Belastbarkeit der Wissenschaft, aber er weiß auch, dass man manche Fakten lieber nicht so laut sagen sollte. "Die Größeren nutzen das sonst ganz gerne als Ausrede", sagt er. Er will vermeiden, dass Maria Riesch mit umgedrehtem Minderwertigkeitskomplex ins Rennen startet. Sie soll sich nicht schämen für ihre 1,80 Meter, sondern einfach das tun, was sie am besten kann: den Ski laufen lassen. "

Zumal der Hang auf der Kandahar nicht besonders schwer ist", sagt Schwaiger, er meint: Da hebt sich der Größenvorteil der Kleinen ziemlich auf. Schwaiger weiß, dass ein gelungener Riesenslalom-Lauf ohnehin ein Gesamtkunstwerk ist. Es braucht natürlich die richtigen Hebel, aber es braucht auch den richtigen Kopf. "Maria ist wie alle Weltklassefahrerinnen: Wenn sie im Wettkampf Lunte riechen, dann sind sie voll da. Dann greifen sie an."

Unter normalen Umständen wären die deutschen Athletinnen am Donnerstag favorisiert, neben den üblichen Verdächtigen wie Tessa Worley oder Tanja Poutiainen, aber selbst mit ihren diversen Krankheitsgeschichten gehen sie noch aussichtsreich ins Rennen. Allerdings gibt es hier bei der Ski-WM auch eine Athletin, die sehr gut Riesenslalom fährt die partout nichts falsch machen kann im Moment, und der gerade jeder Lauf gelingt: Elisabeth Görgl. Sie ist übrigens nur 1,65 Meter groß.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1061249
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.02.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.