Süddeutsche Zeitung

Ski -Nordisch-WM:Getragen von Luft und Lärm

Lesezeit: 4 min

Die Nordische Ski-WM in Slowenien war geprägt von großen Siegen, bitteren Enttäuschungen und einer spät erwachten Stimmung. Die Deutschen erlebten beide Pole der Emotionen - ein Fazit in Kurzgeschichten.

Von Volker Kreisl, Planica

Weiche Knie

Skispringerinnen sind wie ihre männlichen Kollegen meist gefasst und konzentriert. Sie beherrschen die Kunst des Ausblendens, ehe sie sich erst in die Spur und dann mit dem Kopf voraus in die Luft stürzen. Nach erfolgreicher Landung boxen sie ein bisschen in die Luft oder tänzeln, sind dann flugs wieder in ihrer antrainierten Ausgeglichenheit, die sie über den Winter trägt. Umso schöner ist es, wenn eine mal die Beherrschung verliert.

Katharina Althaus hat gleich zum Auftakt dieser Ski-Nordisch-WM in Planica die vielleicht wichtigste Klippe gemeistert. Ihr Erfolg erstreckte sich im Grunde von Donnerstag über den Samstag und den Sonntag bis Mittwoch. Dreimal Gold und einmal Bronze holte sie - und zeigte beim ersten Sieg, wie es ist, wenn die Ausgeglichenheit der Überwältigung weicht. Althaus war in die Knie gegangen und hatte ihren Tränen freien Fluss gelassen, als sie endlich jene Goldmedaille im Einzel bei einem Großereignis gewonnen hatte, der sie so viele Jahre hinterhergesprungen war.

Umgeklappt und davongefahren

Die Beherrschung der Nerven ist nicht nur im Skispringen wichtig, sondern ab und an auch im Langlauf. Wenn es über die Langstrecke zum Skiwechsel kommt - bei den Frauen nach 15 von 30 Kilometern - können die Nerven alles blockieren. Katharina Hennig, die zurzeit beste Läuferin im Deutschen Skiverband (DSV), hat das nur ein wenig anders ausgedrückt, als sie später zugab: "Ich hab's ziemlich verkackt." Ein Ski sei ihr beim Umstieg auf frisch gewachste Latten umgeklappt, der andere ein Stück davongefahren ... und die Uhr lief ... und lief .... und lief. Als Hennig endlich wieder in die Loipe bog, war die Spitzengruppe über alle Berge. Den Anschluss schaffte sie nicht mehr, dennoch wurde sie am Ende Siebte. Und für ihren Verband hatte sie da längst eine entscheidende Rolle bei dieser WM gespielt. Vier Rennen hatte sie absolviert, in der Staffel als zweite Läuferin mit die Grundlage für die Silbermedaille geschaffen, der am nächsten Tag Bronze fürs Team der Männer folgte.

Ungewisse Zukunft

Das WM-Debüt der Nordischen Kombination der Frauen war als Wettkampf fürs Fachpublikum eher gewöhnlich. Die Favoriten sprangen, liefen und sprinteten. Nathalie Armbruster wurde zweimal Zweite, chancenlos gegenüber Dauersiegerin Gyda Westvold Hansen aus Norwegen, dafür souverän vor dem Rest des Feldes. Dieses war noch überschaubar, doch es war ja auch eine Premiere. Die Kombinations-Strategen des Weltverbands hatten den Zeitpunkt für die Einführung einer Frauensparte verpasst, womit weiter die Gefahr besteht, dass sie nun nicht ins Olympiaprogramm aufgenommen wird, womöglich gleich auch die Männer-Version olympisch eingestellt wird.

Dennoch sucht dieser Sport, der voller Tradition steckt, nun Mädchen und Frauen, die das Training lieben, Talent, Kondition und Skitechnik in der Luft und am Boden haben und halbwegs jung sind. Armbruster erfüllt all dieses und noch mehr. Die Kombiniererin aus dem Schwarzwald kann arbeiten und bleibt zuversichtlich - sonst würde sie nicht fürs Abitur lernen und zugleich die Arbeit an einem Sport, der in unsicheren Zeiten steht, lieben.

Rhythmisch zuckend

Anze Lanisek hatte schon früh ein ausgeprägtes Temperament. Ärgern durfte er sich, aber den Helm nach einem misslungenen Sprung im Zielraum in den Schnee schmeißen, das sahen die Trainer gar nicht gerne. Jetzt ist Anze Lanisek Weltmeister - vor eigenem Publikum. Im Stadion, das erst am Schlusswochenende ausverkauft war, bekamen alle, die bei Laniseks Ausfällen in der Jugend nicht dabei waren, nun beim Teamspringen eine Ahnung davon, welche Energie in ihm losbrechen kann. Nur diesmal war sie positiv.

Lanisek, 26, gehörte die ganze Saison über zu den besten Vier im Weltcup-Ranking. Sein ruhiger Flugstil hatte an diesem Abend die besten Weiten ermöglicht. Nun ging es schon im ersten Durchgang mit ihm durch, er riss sich die Skier von den Füßen und schrie wie ein Heavy-Metal-Held. Nach dem Sieg defilierte er auf Latten an den Zuschauern vorbei, den Kopf rhythmisch zuckend, die Arme schwenkend, die Kameralinse küssend, das alles mit Skibrille.

Die Slowenen ließen sich also von Luft und Lärm tragen. Und die Deutschen? Fielen zurück. Der Tiefpunkt war im zweiten Durchgang, als Bundestrainer Stefan Horngacher bei Markus Eisenbichler per Verkürzung des Anlaufs den Rückstand auf die Besten aufholen wollte. Hätte Eisenbichler eine Mindestweite erreicht, hätte ihm das zehn zusätzliche Punkte gebracht. Doch er verfehlte die Vorgabe um 50 Zentimeter, was ihn sehr ärgerte, weil die Maßnahme mit ihm nicht abgesprochen war. Auch Eisenbichler zeigte darauf sein Temperament, bestimmt so krachend wie Lanisek.

Parasit-Besieger

In der Zeit vor der WM hatte Jarl Magnus Riiber Wochen mit einem unangenehmen Magen-Darm-Parasit durchgemacht, der ihn stark geschwächt hatte. Dann zog sich der Kombinationsspezialist zurück, besiegte den Parasit, besiegte per Training seine schlechte Form - und besiegte bei der WM alles, was sich ihm entgegenstellte. Riiber gewann vier von vier Rennen, jeweils mit großartigen Schanzenflügen und Abgeklärtheit in der Loipe. Seine Gegner empfanden Riibers frühzeitigen Jubel im finalen Rennen zwar als unangebracht - "das finde ich persönlich respektlos", sagte etwa der Deutsche Julian Schmid. Der war in der Teamstaffel schon mit einem Überholversuch an Riiber abgeprallt. Für die sportlichen Leistungen nahm der Norweger aber ausnahmslos Respekt entgegen: Mit nun insgesamt acht Gold- und diversen sonstigen Medaillen hat er den Deutschen Eric Frenzel als erfolgreichsten Kombinierer bei Weltmeisterschaften überholt.

Auf und davon

Dass dieser Samstag ihr Samstag sein würde, das hatte Ebba Andersson gleich gespürt. "Ich hab mich stark gefühlt", sagte sie, "von Beginn an". Dieser Langlaufmarathon der Frauen über 30 Kilometer war grundsätzlich kein Rennen für Rekorde, nach den kalten Tagen mit harten Pisten stand die Sonne jetzt im milden Klima von Planica hoch am Firmament. Der Schnee war für die Klassikläuferinnen warm und stumpf, die Sonne brannte auf das Läuferfeld, das sich bald in die Länge zog wie schmelzendes Speiseeis. Na und? Als zwei von vier Runden gelaufen waren, war Andersson sich endgültig sicher, dass dies ihr Tag war.

Die 25-Jährige machte sich auf und davon. Eine silberne und eine goldene WM-Medaille (2017 und 2019) hatte sie zuvor gewonnen, dazu vor zwei Jahren zweimal Bronze in Einzelrennen. Jetzt war also der Zeitpunkt für ihre zweite goldene von vier Plaketten in Planica. Weil die Verfolgerinnen bald merkten, dass sie sich nur aufreiben würden, beschränkten sie sich auf den Kampf um Silber und Bronze. Anderssons Plan war nicht mehr gefährdet, dennoch sah es so aus, als wäre sie vom Ehrgeiz getrieben, weiter glitt sie durch die Loipe, leicht und rhythmisch, an ihrem Tag.

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