Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Wieder eingefädelt

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Die deutschen Ski-Techniker erleben erneut ein typisches Wochenende: Enttäuschungen sind nie fern.

Von Gerald Kleffmann, Val d’Isère/München

Wenn Christian Neureuther die Post holt, kann es gut sein, dass er Neues über seinen Sohn erfährt. Wie vor zwei Wochen. Da lag erneut eine Rechnung zwischen den Briefen, Absender: ein Arzt, natürlich. "Der Felix sagt ja von sich aus gerne nichts, wenn er gesundheitliche Probleme hat", sagt der Vater, selbst früher ein exzellenter Skirennfahrer. Es klinge nach Ausreden, "das mag Felix gar nicht". Die Schulter, dreimal operiert, hatte sich der Sohn jüngst ausgekugelt, im Training. Aber selbst als im Anschluss ein enttäuschender 16. Rang im Riesenslalom in Val d'Isère (Ersatzort für Beaver Creek) heraussprang, erwähnte er nichts von der peinvollen Vorbereitung. Christian Neureuther schmunzelt darüber, er weiß, er kann Felix vertrauen, "er kennt sich am besten", sagt er, "er ist stabil genug, um solche Momente zu meistern". An diesem Wochenende hat er das demonstriert. Zumindest eineinhalb Rennen lang.

Am Samstag wurde Neureuther beim souveränen Sieg des Franzosen Alexis Pinturault Vierter im Riesenslalom von Val d'Isère. Einen Platz lag er damit vor Stefan Luitz, der mal wieder drauf und dran war, den Durchbruch zu schaffen. Aber seine Geschichte ist nach wie vor die, dass er im zweiten Durchgang meist einen kapitalen Fehler begeht, der ihn den ersten Weltcup-Sieg kostet. Zweiter war der 24-Jährige aus Bolsterlang nach dem ersten Lauf gewesen, was ihn nicht überraschte, und das zurecht. "Es ist ein sehr schwieriger Hang, eine schwierige Piste. Aber ich habe hier sehr gute Erinnerungen, vielleicht lief es deswegen so gut", sagte Luitz. Zwei seiner drei Podestplätze errang der Allgäuer auf der französischen Piste namens la face de bellevard. Doch eine Unachtsamkeit samt Abbremser kostete ihn Zeit, das Draufgängerische zu dosieren, ist eine Kunst. Aber schlimmer, als den Triumph zu vergeben, wäre der Ausfall gewesen, daher gab sich Luitz auch erleichtert: "Ich hätte nicht gedacht, dass es für Platz fünf reicht. Ich bin echt happy, dass es so ausgegangen ist."

Vielleicht sollte sich Luitz mit Neureuther zusammentun und einen Austausch an Eigenschaften besprechen. Das Tollkühne, das Luitz manchmal zu sehr wagt, wagt Neureuther manchmal eine Nuance zu wenig. "Zu brav", das ist ein Vorwurf, den der 32-Jährige sich gelegentlich selbst macht, wie vergangene Woche. Auch am Samstag lag er als Sechster aussichtsreich platziert, doch er erkannte auch: "Ich war streckenweise leider zu passiv. Man muss ein taktisch cleveres Rennen fahren." Im zweiten Durchgang hatte er zwar attackiert, letztlich aber durch ein verpatztes Tor vor der letzten Zwischenzeit Rang drei oder Besseres verpasst. "Ich wollte es einfach riskieren und bin leider zu direkt an das Tor gefahren. Das hat auf alle Fälle die sechs Hundertstelsekunden gekostet, die ich hinter Kristoffersen war." Der Norweger Henrik Kristoffersen, vergangene Saison die Slalom-Instanz, war zuletzt durch den Startverzicht in Levi aufgrund eines Sponsorenstreits auffällig geworden. Als Dritter am Samstag im Riesenslalom demonstrierte er sogleich: Der Streit ums Geld belastet ihn nicht. Der Sonntag belegte gar noch eindrucksvoller, dass dieser Kristoffersen offensichtlich die Nerven eines Geheimagenten besitzt.

Mit positiven Schwingungen immerhin konnte die Einheit des Deutschen Ski-Verbandes (DSV) den Slalom am Sonntag angehen, "für uns als Mannschaft war es unheimlich wichtig zu sehen, dass wir in Schlagdistanz sind", sagte Neureuther, der aber auch weiß, dass im Riesenslalom Pinturault und der dort diesmal Zweite Marcel Hirscher aus Österreich "in einer eigenen Liga" sind - wie im Slalom die Kombination Kristoffersen und Hirscher, die in dieser Reihefolge auch den Slalom abschlossen. Für die Deutschen war es der nächste Tag der gemischten Gefühle, hoffnungsvolle Zeichen wechselten sich - passend zur Saison - mit Rückschlägen ab. Neureuther lag im ersten Durchgang vorzüglich auf Kurs, doch eine zu passive Fahrweise im Schlussdrittel ließ ihn auf Rang sieben enden. Im zweiten Lauf fädelte er in einer Vertikalen, einer eng aufeinanderfolgenden Torstangenreihe, ein und schied aus.

Als bester DSV-Fahrer durfte sich somit der Münchner Linus Straßer, 24, auf Rang 16 bezeichnen. Er war auch der einzige, der es ins Endklassement geschafft hatte; Dominik Stehle verpasste als 35. den zweiten Lauf, Luitz schied im ersten aus. Die Agentur dpa übermittelte daraufhin eine Bilanz, die nicht erfreulich klang. Eine schlechtere Teamleitung der deutschen Techniker gab es zuletzt im Januar 2012 in Schladming, als kein einziger Weltcup-Punkt errungen worden war.

Nach dem Schien- und Wadenbeinbruch von Dopfer, für den die Saison vorbei ist, muss sich die deutsche Mannschaft neu sortieren. Auch Neureuther, denn dem fehle, sagt Vater Christian, "Fritz ungemein, interner Wettbewerb zieht immer auch einen selber hoch". Und die Jüngeren stehen nun mehr im Fokus, was Straßer offenbar spürte. "Mit dem ersten Lauf war ich absolut happy", sagte er dem ZDF; mit Startnummer 44 war er auf Rang 13 vorgefahren. "Den zweiten muss ich besser machen. Aber natürlich spielt auch mit, dass ich Punkte brauche und dann nicht voll ans Limit gehe."

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Quelle:
SZ vom 12.12.2016
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