Süddeutsche Zeitung

Ski alpin:Flachländer vor dem Gipfelsturm

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Als Präsident des Schweizer Verbandes hat Urs Lehmann auch alte Strukturen aufgeräumt. Nun will er Chef des Weltverbands Fis werden - wo dieselbe Aufgabe ansteht.

Von Johannes Knuth, München

Vor ein paar Tagen stand Urs Lehmann vor einer TV-Kamera und lächelte. Scheinwerferlicht fiel auf seine Stirn, sie glänzte ein wenig, aber Lehmann wirkte nicht wie jemand, der in Bedrängnis war. Im Gegenteil, er steckte im Angriffsmodus, auch wenn das bei seinem Schweizer Dialekt und dem gelegentlichen Lächeln nicht gleich auffiel. Ab und zu erlosch das Lächeln, dann setzte Lehmann Worte ab wie Giftpfeile, während eine blonde Strähne lässig im Scheinwerferlicht wippte.

Gerade erst war ein Streit in der Öffentlichkeit eskaliert, zwischen dem Schweizer Skiverband, dem Lehmann vorsteht, und den Ausrichtern der traditionsreichen Lauberhornrennen im Berner Oberland. Die Wengener Veranstalter fordern seit Jahren mehr Geld von ihrem Skiverband und hatten deshalb vor dem Internationalen Sportgerichtshof geklagt. Doch der Verband weigerte sich, auch weil die Wengener, wie Lehmann jetzt noch mal lächelnd im Interview betonte, mit der Klage das Wohl seines Verbandes gefährdeten. Also hatte er den Ort aus dem provisorischen Rennkalender für den übernächsten Winter streichen lassen. "Lehmann lässt das Lauberhorn erbeben", titelte die Neue Zürcher Zeitung. Die Wengener tobten, man wolle ihnen den Kopf abschlagen, klagten sie, aber Politik und Wirtschaft reagierten hektisch, stellten Hilfen in Aussicht, bald setzten auch die Wengener vorsichtige, diplomatische Signale ab. Und der Schweizer Verband? Hievte die Rennen prompt wieder in den Kalender.

Ein Rückzieher, spotten Kritiker. Ein riskantes, aber cleveres Manöver von Lehmann, finden Befürworter. Noch ist der Zwist nicht beendet, Fakt ist, dass sich der 51-Jährige auf den rustikalen Pfaden der Alpinwelt gerne mal angriffslustig seinen Weg bahnt. Am 4. Oktober soll nun der Gipfelsturm erfolgen: Dann holt der Ski-Weltverband Fis in Zürich seinen Kongress nach, der diesen Mai, wo sonst, in Pattaya in Thailand hätte stattfinden sollen, ehe er corona-bedingt ausfiel. Gian Franco Kasper wird nun also im Herbst abtreten, nach 22 Jahren als Präsident der Fis; Lehmann würde ihm gerne nachfolgen - als dritter Schweizer an der Fis-Spitze nach Kasper und Marc Hodler, der von 1951 bis 1998 (!) präsidierte. "Die Fis ist historisch gewachsen", sagte Lehmann zuletzt der NZZ, "jetzt braucht sie einen neuen Anstrich."

Lehmann fällt es nicht schwer, sich als Gegenpol zu der bisherigen Führung zu positionieren. Kasper führte die Fis einst ins Kommerzsportzeitalter, er war auch einer der wenigen, der im organisierten Sport als kritischer Geist umherspukte. Wer wissen wollte, was lief, musste nur der roten Cordhose und dem Zigarettenrauch folgen. Aber zuletzt stand der 76-Jährige vor allem für einen Verband, der in seiner Tradition erstarrte. Im Februar 2019 erklärte Kasper im Tages-Anzeiger, dass der Klimawandel doch gar nicht bewiesen sei ("Wir haben Schnee, zum Teil sehr viel") und dass er Diktatoren als Gastgeber präferiere ("Ist für uns einfacher"). Lehmann verspricht in seinem Wahlprogramm so ziemlich das Gegenteil: eine Verbandspolitik, die auch Gleichberechtigung und Klimawandel respektiert, mehr Rennen in Asien, Förderung der Freestyle-Szene, bessere Vermarktung von neuen und alten Formaten - wie die Lauberhornrennen, die sich viel besser präsentieren könnten, so sieht er das.

Lehmann hat seine Karrieren stets sorgfältig geplant, und im Gegensatz zu manch anderem Sportlenker machte er daraus nie einen Hehl. Er wurde 1993 Abfahrtsweltmeister, als Flachländer aus Rudolfstetten bei Zürich, der im Weltcup zuvor nie über einen vierten Rang hinausgekommen war. Ein Zufallssieger, ätzten viele. Tatsächlich hatte Lehmanns Trainer Karl Frehsner, Spitzname Eiserner Karl, schon Jahre zuvor geahnt, dass die Strecke in Morioka perfekt für den Gleitspezialisten war, er hatte Lehmann immer wieder zum Üben nach Japan geschickt. Und dann, stellte Frehsner gewohnt feinsinnig fest, "wurde er auf diesem Scheißhügel Weltmeister".

Lehmann, man muss es leider so sagen, verwandelte die Scheiße tatsächlich in Gold. So einen Abfahrtstitel trägt man in der Szene ja wie einen Doktortitel im Namen, für Lehmann ist er bis heute Ausweis seines Stallgeruchs. Dabei war er schon damals anders als viele Konkurrenten, wollte lieber früher aufhören, um ins Berufsleben einzusteigen, was er dann auch tat. Heute ist er Geschäftsführer und Profitmaximierer beim Arzneikonzern Similasan, seit 2008 steht er dem großen Skiverband in der Heimat vor. Die Zeit dort war auch eine Art Testlauf für die noch größere Aufgabe, die nun folgen soll. Er modernisierte einen traditionsreichen, aber defizitär wirtschaftenden Verband, ehrgeizig und angriffslustig - wenn nötig auch gegenüber den eigenen Athleten, die er sperrte, wenn sie gegen Sponsorenvorschriften verstießen (Lara Gut), oder öffentlich abkanzelte, wenn sie zu heftig feierten (Patrick Küng).

Und jetzt? Lehmann ist durchaus favorisiert, die großen Alpenverbände stützen ihn, auch wenn Peter Schröcksnadel, der mächtige Herrscher im österreichischen Verband, sich zuletzt auffallend ausweichend äußerte. Als Gegenkandidat hat sich bisher nur der Brite Johan Eliasch erklärt, der Geschäftsführer des Skiproduzenten Head, Multimillionär und Ex-Lebensgefährte von Schauspielerin Sharon Stone. Im Hintergrund positionieren sich noch Sarah Lewis und Mats Arjes. Aber Lewis, die Fis-Generalsekretärin, wird von vielen Insidern mit Schaudern als diejenige gesehen, die Kaspers Kurs fortsetzen würde, und der schwedische Multifunktionär Arjes stellte sich bei der missglückten Stockholmer Bewerbung um die Winterspiele 2026 offenbar nicht blendend an.

Letztlich, hat Gian Franco Kasper einmal gesagt, zählten in der Fis ohnehin andere Qualitäten: "Vom Denken her sind wir alles Bergbauern. Wir finden einen Kompromiss, trinken ein Bier in der Alphütte, und fertig ist die Sache." Das wird der bestimmte Herr Lehmann aus dem Schweizer Unterland zur Not aber sicher auch beherrschen.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2020
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