Süddeutsche Zeitung

Spanische Nationalelf:Die plötzliche Angst des Sergio Ramos beim Elfmeter

Lesezeit: 3 min

Spaniens Kapitän ist nun der Europäer mit den meisten Länderspielen - vergibt aber bei der Rekord-Partie zwei Strafstöße. Ob er gegen die DFB-Elf erneut schießen würde?

Von Javier Cáceres

Wer sich einen Begriff davon machen wollte, wie groß die Anspannung bei den Spaniern bei der Nations-League-Partie in Basel war, der bekam den Beweis in der Pressekonferenz serviert. Man sei ja überlegen gewesen, sagte ein Fragender voller Charme, aber im Grunde sei die Überlegenheit erst nach der roten Karte (gegen den Gladbacher Nico Elvedi) zum Tragen gekommen.

"Rot?", fragte Spaniens Trainer Luis Enrique entgeistert den Pressesprecher und hinterließ ein Rätsel: Hatte er wirklich nicht mitbekommen, dass der Schweizer Elvedi nach seinem Foul an Álvaro Morata des Feldes verwiesen worden war? Nachdem ihn der PR-Mann aufgeklärt hatte, dass Spanien das späte 1:1 tatsächlich in Überzahl erstritten hatte, ging Luis Enrique zu anderen Themen über: zur Verteidigung seines Teams, mit der er "bis ans Ende der Welt gehen würde", und zu seinem Kapitän Sergio Ramos, der ihm den Moment der Unaufmerksamkeit beschert hatte. Weil Ramos einen erstaunlichen Rekord mit einer frappierenden Fehlleistung paarte: mit zwei verschossenen Strafstößen.

Zunächst zum Rekord - der ist außergewöhnlich. Ramos, der nicht nur ein glänzender und mitunter rabiater Verteidiger ist, sondern auch ein glühender Nationalist, trug zum 177. Mal das Trikot der spanischen Auswahl, er wurde damit zum Europäer mit den meisten Länderspieleinsätzen überhaupt, vor dem italienischen Torwart Gianluigi Buffon. Weltweit stehen nur drei überregional unbekannte Koryphäen vor dem Kapitän von Real Madrid: Bader al-Mutawa aus Kuweit (178), Ahmed Mubarak aus dem Oman (179) sowie Ahmed Hassan aus Ägypten (184). Dass sie bei ihren jeweiligen Rekordspielen so im Mittelpunkt standen wie Ramos am Samstag, ist nicht erinnerlich.

Die Schweiz war durch ein hübsches Tor von Remo Freuler (26.) in Führung gegangen, nach der Pause schlug dann in vielerlei Hinsicht die Stunde des Sergio Ramos. Erst bügelte er auf der Linie einen Patzer von Torwart Unai Simón aus; der Keeper von Athletic Bilbao, der den Vorzug vor David De Gea (Manchester United) und Kepa (Chelsea) erhalten hatte, war aus seinem Strafraum herausgestürmt und hatte Haris Seferovic (Benfica Lissabon) eine brillante Einschussmöglichkeit bereitet. Wenig später tauchte Ramos wie so oft im gegnerischen Strafraum auf - und holte in der 57. Minute einen Handelfmeter heraus. Aber: Torwart Yann Sommer hielt. In der 80. Minute folgte dann die Szene, in der Luis Enrique mit anderen Dingen beschäftigt war, als Schiedsrichterentscheidungen zu folgen. Denn als Elvedi die rote Karte sah, war Luis Enrique an der Außenlinie ins Zwiegespräch mit Ramos vertieft.

Was er Ramos gesagt habe? "Daran erinnere ich mich nicht mehr", sagte Luis Enrique. Undenkbar ist, dass der Coach seinem Kapitän zu der fatalen Entscheidung riet, die Ramos am Elfmeterpunkt traf: sich im letzten Moment umzuentscheiden. Ramos hatte wie so oft zum sogenannten Panenka-Strafstoß angesetzt. Doch dann lupfte er den Ball doch nicht, sondern zielte, weil Sommer den Eindruck erweckte, Ramos' Intentionen zu erahnen, nach links. Der Gladbacher Schlussmann fing den Ball nicht nur ohne Mühen - er hielt ihn vor der Brust, "als kuschelte er mit einem Stofftier", schrieb die Zeitung El País. "Dass ich zwei Penaltys von Ramos halte, ist ein tolles Gefühl. Da wir in der Champions League mit Mönchengladbach auch gegen ihn mit Real Madrid spielen, habe ich mich mit seinen Penaltys schon befasst", sagte der Schweizer Keeper. Doch das beantwortete nicht den Reigen an Fragen, den Ramos' Fehlschüsse hinterließen.

War Ramos übermotiviert, weil er sein Rekordspiel krönen wollte? Hätte er nicht besser einen anderen schießen lassen sollen? Oder belastet ihn die Zukunftsfrage, weil er sich mit Real Madrid gerade um einen neuen Vertrag zankt, der ihm nach seinen Vorstellungen auf drei Jahre hinaus mehr Geld als jetzt bringen soll, also mehr als angeblich zwölf Millionen Euro netto?

Ramos selbst schwieg nach der Partie, dafür sprang ihm Luis Enrique bei. "Die Zahlen von Sergio sind nur Auserwählten vorbehalten", wetterte der Coach in Anspielung auf den Rekord und auf Ramos' Elfmeter, nicht auf das Geld. "Ihn zu kritisieren, wenn er mal zwei Elfmeter verschießt, ist doch ein Witz." Luis Enrique versicherte, dass Ramos auch einen dritten oder vierten Elfmeter geschossen hätte, wenn es sie gegeben hätte, was so viel heißt wie: Ramos würde am Dienstag in seiner Heimatstadt Sevilla (ohne den knieverletzten Sergio Busquets) im abschließenden Nations-League-Spiel gegen Deutschland gegebenenfalls die Elfmeter schießen. Den Ausgleichstreffer gegen die Schweizer übrigens besorgte Stürmer Gerard Moreno vom FC Villarreal, als die 89. Minute angebrochen war - und die Spanier, wie Luis Enrique nun weiß, in Überzahl spielten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5115773
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.11.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.