Süddeutsche Zeitung

Schwimm-WM in Rom:Das Material macht's

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Die neuen Schwimmanzüge sorgen für neue Fabelzeiten. Dass technische Neuerungen bei sportlichen Höchstleistungen helfen, hat Tradition: vom Stabhochsprung über Ski Alpin bis Fußball.

Wolfgang Gärner

Schwimmen müsse man schon auch noch, und es stecke eine Menge Trainingsarbeit dahinter, muss der Schwimmer Paul Biedermann immer wieder erklären, der bei den Weltmeisterschaften in Rom über 200 und 400 m Kraul in Weltrekordzeit gewann. Dieser Hinweis ist notwendig, weil der Eindruck entstanden war, die Anzüge seien ausschlaggebend bei der Titelvergabe.

Das ist wohl nicht so, aber die Weltrekordentwicklung wurde durch die Ganzkörperoveralls entscheidend forciert: Kaum ein Wettbewerb ohne neue Bestzeit, oft schon in Zwischenläufen. Was die Attraktivität der Sparte heben sollte, wirkt in diesem Ausmaß inflationär, und so beschloss der Weltverband Fina, die plastifizierten Anzüge - auftriebsfördernd und widerstandshemmend - 2010 zu verbieten.

In Wettkämpfen wird dann wieder so geschwommen wie im Freibad: In Badeanzügen und -hosen aus textilem Material, über dem Knie endend, und bei den Frauen schulterfrei. Der nächste Streit hat schon begonnen: Was wird aus den im Anzug erzielten Rekorden? Vermutlich werden sie mit Sternchen versehen.

Die Angelegenheit widerlegt die These, dass der Fortschritt nicht aufzuhalten sei: mit Verboten schon. Der Sport, in dem es um nichts anderes geht als um schneller-höher-weiter, ist naturgemäß besonders empfänglich für technische Innovationen, mit denen die Leistungen zusätzlich gesteigert werden können. Wann immer sich neues, höherwertiges Material anbietet, greift der Athlet danach.

Bis in die vierziger Jahre gab es für Stabhochspringer nur Sportgeräte aus Bambus, damit waren maximal 4,77 m zu schaffen. Die Metallstäbe brachten mit 4,80 m keinen nennenswerten Fortschritt; in lichte Höhen ging es erst anschließend: Die Kunststoff-Ära begann 1961 mit 4,83 m und führte bis 6,14 m; dort hängt sie allerdings seit 15 Jahren fest. 1968 in Mexiko City maßen sich die Läufer erstmals bei Olympischen Spielen nicht mehr auf einem Geläuf aus Ziegelmehl, sondern auf einer Kunststoffpiste.

Die Ausrüster hatten vorgesorgt und für ihre Spitzenkräfte den sogenannten Bürstenschuh entwickelt, mit 70 Dornen statt der üblichen vier bis sechs auf konventionellen Rennschuhen. Der Amerikaner John Carlos lief damit die 200 m in 19,92 Sekunden. Das wäre Weltrekord gewesen, wurde aber vom Weltverband IAAF nicht anerkannt. Und gleichzeitig wurden die Bürstenschuhe verboten. Ein ähnliches Urteil traf 2008 die überdimensionierten Driver, mit denen auch durchschnittlich veranlagte Golfer zu Longhittern mutierten; nun sind Volumen des Schlägerkopfes und Trampolineffekt der Kontaktfläche begrenzt.

Beim Carvingski wurden Begrenzungen von Standhöhe und Kurvenradien nötig. Prinzipiell hat die Innovation des taillierten Skis aber die ganze Sportart entscheidend vorangebracht - fast so sehr wie der Radrennfahrer Tullio Campagnolo mit der Erfindung der Gangschaltung anno 1927 am Dolomitenpass Croce d'Aune. Bis dahin hatten sie auf der einen Seite der Hinterradnabe ein kleines Ritzel, auf der anderen ein großes, und drehten je nach Steigung das Laufrad herum.

Bis jetzt bestritt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihre Länderspiele ausnahmslos auf Gras. Doch am 10. Oktober muss die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw zum WM-Qualifikationsspiel gegen Russland im Moskauer Luschniki-Stadion erstmals auf Kunstrasen antreten. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten - schließlich tritt man auch schon seit 27 Jahren nicht mehr gegen Lederbälle.

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SZ vom 30.07.2009
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