Süddeutsche Zeitung

Schalke besiegt Leipzig:Phasenweise überragend

Lesezeit: 3 min

Von Javier Cáceres, Leipzig

Es gibt wohl keine makellose Schönheit. Und so hatten die Anhänger des FC Schalke 04 fast schon einen Grund, dankbar zu sein, dass Alexander Nübel, ihr Torwart, sich zum Ende der Partie bei RB Leipzig noch einen groben Schnitzer leistete, dem bisherigen Tabellenführer einen Anschlusstreffer gewährte: Es machte ihren Triumph noch schöner, er war die Warze auf der Oberlippe von Marilyn Monroe.

3:0 führten die Schalker, als in der 83. Minute Emil Forsberg aus gehöriger Distanz aufs Schalker Tor schoss und Nübel die Fäuste ausfuhr. Als der Ball in Brustnähe war, da wusste er, dass er sich "zu früh festgelegt" und keine Zeit mehr zur Korrektur hatte, sollte er später referieren. Der Ball flog über seine Fäuste unter die Latte. Doch die Fans der Schalker quittierten das Malheur mit Alex-Nübel-Rufen - weniger aus ästhetischen Gründen denn als Entscheidungshilfe. Nübel wird von diversen Klubs umschwärmt, darunter angeblich auch Leipzig. Und er hat sich bisher geziert, ein Bekenntnis zu Schalke abzugeben.

"Natürlich habe ich das registriert, es hat mich auch gefreut", sagte Nübel nach der Partie, ließ sich aber bezüglich seiner beruflichen Zukunft nichts entlocken. Er beließ es bei der Freude über einen Sieg, der RB Leipzig von der Tabellenspitze stieß und für Schalke gleichbedeutend war mit dem vierten Sieg in Serie. "Für solche Nachmittage wurde das Wort Stolz erfunden", sagte Schalkes Trainer David Wagner nach einer phasenweise überragenden Leistung. "Es war unser bestes Spiel in dieser Saison", sagte Schalkes Mittelfeldspieler Omar Mascarell.

Leipzig hatte den besseren Start erwischt. Doch Schalke hielt in der Anfangsviertelstunde mit jenem Selbstvertrauen stand, das der gute Saisonstart in kaum vermutete Höhen hat schnellen lassen. Sie präsentierten sich gut organisiert, in der richtigen Dosis aggressiv - und vermochten es auch, eine Schockminute zu überstehen, in der die Leipziger gut hätten in Führung gehen können. Oder müssen: Nach knapp einer Viertelstunde jagte Mittelfeldspieler Marcel Sabitzer den Ball an die Querlatte; er sprang dann aber knapp vor der Torlinie auf. Hernach zeigte Nübel, dass er zurecht verdächtigt wird, die Saga deutscher Welttorhüter fortzusetzen. Wie ein Tintenfisch mit Handschuhen jagte er durch den Strafraum und rettete innerhalb von Sekunden gegen Emil Forsberg und Sabitzer, die aus solcher Nähe schossen, dass sie Auskunft über die Augenfarbe des Schalker Schlussmanns hätten geben können. Der unmittelbar folgende Nachschuss von Nordi Mukiele flog übers Tor. Es war eine Szene, die den Schalker Glauben an die eigene Unverwundbarkeit bestärkte. Und sie Mut fassten ließ, auch spielerisch aufzutauen. Vor allem Amine Harit.

"Wir sind ein großes Team, ich habe keine Angst, das zu sagen", sagt Harit

Es waren allerdings so genannte ruhende Bälle, die ihnen die 2:0-Halbzeitführung brachten. Beim 1:0 schlug Bastian Oczipka einen Eckstoß an den ersten Pfosten, Omar Mascarell verlängerte und Innenverteidiger Salif Sané erzielte am zweiten Pfosten per Kopf aus fünf Metern seinen zweiten Saisontreffer (29.). In der 39. Minute musste dann der Videoschiedsrichter bemüht werden. Referee Manuel Gräfe hatte eine Attacke von Leipzigs Amadou Haidara auf den Fuß von Spielmacher Harit zunächst als regelgerecht bewertet. Nach einem etwa zweiminütigen Studium der Aufzeichnungen aus drei Perspektiven rang er sich dann aber doch zu einem Elfmeter durch. Harit verwandelte sicher.

Nach der Pause versuchten die Leipziger erkennbar, einen weiteren Schritt nach vorn zu tun. Aber: Vor 42.146 Zuschauern waren es die Schalker, die aus einer soliden und durchdachten Defensive heraus die größere Kreativität entwickelten. Das Dreier-Mittelfeld aus Suat Serdar, Mascarell und Harit rissen die Dominanz des Spiels an sich, flößten den Leipzigern durch Konter immer wieder Angst ein. Für die Entscheidung sorgte schließlich der erst 19-jährige Rabbi Matondo. Die Leipziger verloren in der Schalker Hälfte den Ball an Serdar, der Harit auf eine lange Reise schickte. Und dieser passte nach 40, 50 Metern kühl auf Matondo, der sein gutes Saisondebüt krönte, indem er den Ball mit dem Außenrist am herausstürzenden Peter Gulasci vorbeilegte (59.). Leipzigs Trainer Nagelsmann munitionierte sein Team zwar noch mit dem Rest an Offensivkraft, der auf der Bank verblieben war, es kamen Lookman, Nkunku und Cunha. Doch erstens blieb Schalke durch gute Chancen von Weston McKennie und Guido Burgstaller gefährlich und Leipzig zweitens glücklos - exemplarisch zu belegen durch einen weiteren spektakulären Lattentreffer, der diesmal die Signatur von Marcel Halstenberg trug.

Erst in der 83. Minute kam Leipzig durch den Verzweiflungsschuss von Forsberg zum Anschlusstreffer, was nicht verhinderte, dass sich die Gelsenkirchener in der Spitzengruppe der Tabelle festsetzten. In bislang sechs Spielen gab es nur eine Niederlage - und eben vier Siege. "Wer jetzt in Euphorie verfällt, der braucht Tabletten", sagte David Wagner. Gut möglich, dass er langsam daran denken muss, einzelne Spieler aus seinem Team zum Apotheker zu schicken. "Wir sind ein großes Team, ich habe keine Angst, das zu sagen", tönte Harit. Aber es war ihm an diesem Abend kaum zu verdenken.

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SZ vom 29.09.2019
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