Süddeutsche Zeitung

Cenk Sahin bei St. Pauli:"Die wollten, dass ich das lösche - habe ich aber nicht gemacht"

Lesezeit: 2 min

Von Ralf Wiegand, Hamburg

Dass der FC St. Pauli gerne der ganz andere Fußballklub sein will, ist nichts Neues. Die Hamburger Stadtteil-Piraten sind bekennend links, bekennend queer, bekennend öko. Am kommenden Samstag werden die Kiez-Kicker nicht im Mannschaftsbus, sondern mit einem klimaneutralen Brennstoffzellenbus des öffentlichen Nahverkehrs zum Stadion fahren. Es ist das jüngste Statement eines Vereins, der neben Weltpokalsiegerbesieger auch Weltverbesserer sein möchte. Ewald Lienen, Technischer Direktor und das Gewissen des Klubs, hat mal für eine linke Friedensliste Wahlkampf gemacht, mit lauter Kommunisten.

Es kann daher kaum überraschen, dass der Spieler Cenk Sahin, 25, die Fahrt im Brennstoffzellenbus zum Heimspiel gegen Darmstadt nicht mitmachen wird. Sehr wahrscheinlich wird der türkische Profi nie mehr im St. Pauli-Trikot auflaufen, nachdem er in der vergangenen Woche seine Unterstützung für die türkischen Angriffe auf die Kurden in Syrien mitgeteilt hat. Via Instagram schrieb er: "Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch."

Sahins patriotischer Gruß an die Front zog heftige Reaktionen im Umfeld des FC St. Pauli nach sich: Den Krieg des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan wollen sie in Hamburg nicht haben. Die Ultras, als Hardcore-Fans mit Leib und Seele dem Verein verschrieben, teilten mit, ihnen sei es "schleierhaft", wie man sich mit diesem "ekelhaften Wahnsinn" solidarisieren könne. Sahin müsse umgehend entlassen werden. Auch das Gremium der Fanklubs sah das so: Man verurteile jeden Angriffskrieg und verachte die Inkaufnahme ziviler Opfer aufs Schärfste: "Ein Mitarbeiter, der dem Angreifenden moralisch beisteht, ist nicht akzeptabel."

Noch am Freitag wurde der Mitarbeiter Sahin - erst mal nur bis zum nächsten Training - frei gestellt, er flog umgehend in die Türkei. Dort äußerte er sich in einem Radiointerview über seinen Instagram-Beitrag: "Wegen der Veröffentlichung gab es Probleme mit Klub und Fans", zitierten Medien aus dem Gespräch des Senders Radyospor, "die wollten, dass ich das lösche - ich habe es aber nicht gemacht." Vermutlich auch wegen dieser Reaktion hat sich St. Pauli nach einer internen Aufarbeitung und angeblich einem weiteren Gespräch mit Sahin vom Spieler getrennt - nicht zuletzt, um ihn vor den eigenen Fans zu schützen, die ihm ein "verpiss' dich, Sahin", nachgerufen hatten. Sahins Vertrag bleibt gültig, im Winter kann er wechseln. Dem Verein sei zwar bewusst, dass "wir differenzierte Wahrnehmungen und Haltungen aus anderen Kulturkreisen nicht bis ins Detail beurteilen können und sollten", schrieb St. Pauli: "Ohne jegliche Diskussion und ohne jeglichen Zweifel lehnen wir dagegen kriegerische Handlungen ab."

Angeblich hat Sahin schon eine neue Heimat gefunden, er darf beim türkischen Erstligisten Istanbul Basaksehir FK trainieren. Gründungsmitglied dort ist Präsident Erdoğan.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2019
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