Süddeutsche Zeitung

Gewalt im Sport:Erst mal selbst machen

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Der Verein Athleten Deutschland schafft eine Anlaufstelle für Sportler und Sportlerinnen, die im Verein Gewalt erfahren haben - weil ein "Zentrum für Safe Sport" immer noch auf sich warten lässt. Dabei ist der Handlungsbedarf groß.

Von Saskia Aleythe

Nun gibt es sie also: eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse. Manchmal kommt es simpel daher, was zu einer besseren Zukunft führen kann, und es steckt ja auch jede Menge Arbeit dahinter: Seit vielen Monaten schon hat der Verein Athleten Deutschland darauf hingearbeitet, im deutschen Sport eine unabhängige Anlaufstelle zu schaffen für all jene, die in ihren Vereinen Gewalt erfahren haben.

Wie akut der Handlungsbedarf ist, hat eine Studie Ende 2016 schon gezeigt: Von 1800 befragten Kaderathleten hatte ein Drittel schon sexualisierte Gewalt erfahren, 86 Prozent psychische, 30 Prozent körperliche. Über fünf Jahre sind seitdem vergangen, immer wieder meldeten sich Menschen zu Wort, die vor allem eines bestätigten: Der Sport allein kann das Problem nicht bekämpfen, zu groß sind die Nähe und Abhängigkeiten zwischen Sportlern und ihren Trainern und Betreuern.

Deswegen gibt es jetzt die Nummer der Athleten Deutschland, sie wollten nicht länger warten, dass ein "Zentrum für Safe Sport" vom Staat auf die Beine gestellt wird, hatten das Gefühl, jetzt schon handeln zu müssen. Denn auch bei ihnen meldeten sich Sportler und Sportlerinnen, mehrere pro Monat, immer wieder - und auch im Breitensport drangen immer wieder Gerichtsprozesse vor allem über sexualisierte Gewalt im Sport in die Öffentlichkeit.

"Wir haben für uns beschlossen, das ist etwas, was wir jetzt sofort angehen wollen", sagte der ehemalige Wasserballer Tobias Preuß bei der Vorstellung von "Anlauf gegen Gewalt" am Montag, er ist Vize-Präsident von Athleten Deutschland. Unter 0800/9090444 (montags 11-14 Uhr, donnerstags 16 bis 19 Uhr) oder via Mail unter kontakt@anlauf-gegen-gewalt.org können sich aktive und ehemalige Kaderathleten melden, auch anonym.

Ein "Zentrum für Safe Sport" ist weiter dringend nötig - doch die vorgesehene Finanzierung wirft Fragen auf

Nummern und E-Mail-Adressen gab es freilich vorher auch schon, doch viele Betroffene fühlten sich dort nicht immer gut aufgehoben. Entweder waren die Stellen innerhalb des Sports in Verbänden oder Landessportbünden verankert und damit Teil desselben Systems oder so weit außerhalb des Sports, dass die spezifischen Kenntnisse über die Strukturen im Vereinsleben fehlten.

"Die Grenzen zu dem, was man im Alltag schon als Übergriff erlebt, verschwimmen im Sport oftmals ein bisschen", sagte Fechterin und Athletensprecherin Léa Krüger am Montag, "deswegen kommt es teilweise auch zu Übergriffen, Gewalt und Missbrauch, was man als Athlet manchmal erst realisiert, wenn man darüber nachdenkt. Das können die staatlichen Anlaufstellen im Moment noch nicht leisten oder verstehen." Die nun geschaffene Stelle versteht sich als Ergänzung zu anderen Angeboten, "man hat jetzt die Wahlmöglichkeit".

Im Vordergrund stehen eine psychologische oder auch rechtliche Erstberatung, erst auf Wunsch der Betroffenen werden die Verbände, in denen sich die Vorfälle ereignet haben, mit den Vorwürfen konfrontiert. Und eines ist auch klar: Ein "Zentrum für Safe Sport", das sich der Intervention, Prävention und Aufarbeitung von Gewalt im Sport annimmt - vor allem auch im Breitensport -, ist weiter dringend nötig, ein Bekenntnis dazu steht im Koalitionsvertrag.

Eine Machbarkeitsstudie, die vom Bundesinnenministerium in Auftrag gegeben wurde, hatte Anfang des Jahres den Bedarf zusätzlich bestätigt. Seitdem laufen Gespräche zur weiteren Umsetzung, eine erste Anlaufstelle ist auch hier geplant. Dass dafür zunächst jährlich nur 300 000 Euro vorgesehen sind, stößt bei den Athleten Deutschland auf Unverständnis.

Der Verein selber finanziert seine Anlaufstelle über zwei Stiftungen, mit einem Betrag ebenfalls im niedrigen sechsstelligen Bereich. "Wir glauben, wenn man jetzt den Breitensport abdecken will, dass es da auch höhere Mittel braucht, um die umfassenden Aufgaben abzudecken", sagt Maximilian Klein, der sich für ein "Zentrum für Safe Sport" schon länger stark macht. "Wir sehen im Ausland, dass da eher Investitionsbedarf im Millionenbereich nötig ist." In Deutschland steht man noch ganz am Anfang.

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