Süddeutsche Zeitung

Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden:Alles wie im Traum - wann wird es wieder finster?

Lesezeit: 2 min

Samstagabend, Flutlicht, Rostock gegen Dresden in der zweiten Liga - es scheint, als sei der Ostfußball endlich im Aufwind. Doch ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte lehrt: Ruhe bewahren.

Kommentar von Cornelius Pollmer

Ein kleines Stück Erstklassigkeit hat auch die schweren Jahre von Hansa Rostock überdauert, noch heute leuchtet es hin und wieder auf als digitales Klebebild im Internet. Mag also auch vieles in Vergessenheit geraten sein aus der wilden, manchmal sogar im guten Sinne haltlosen Zeit speziell Anfang der Neunziger - die Frisur von Mike Werner ist es nicht. Wer dieses Bild je gesehen hat, der wird sich noch auf Jahre daran erinnern, es ist längst Ikone, und das vor allem wegen der klaren Spielanlage, die der zuständige Friseurbetrieb seinerzeit auf dem Kopf Werners und noch weit darunter erkennen ließ: vorne kurz, hinten lang.

Diese Ikone darf einem jetzt mal wieder Mahnung sein in Bezug auf den Ostfußball, gleichwohl weniger im ästhetischen als im übertragenen Sinne. Vorne kurz und hinten lang, das galt in der Vergangenheit schon oft genug für die Spielzeiten ostdeutscher Fußballvereine in höheren Klassen. Vor diesem Hintergrund ist die Aufmerksamkeit derzeit ganz besonders auf Dynamo Dresden zu richten, das an diesem Samstag zu einem Spiel bei eben Hansa Rostock antritt, das gut und gerne als Nachbarschaftsduell bezeichnet werden kann, obwohl 420 Kilometer zwischen beiden Städten liegen.

Dynamo hat unter dem immer noch neuen Cheftrainer und Geburtsschwaben Alexander Schmidt einen fast schon beunruhigend guten Saisonstart fabriziert. Saisonübergreifend hat Schmidt fair gerechnet noch kein einziges Pflichtspiel verloren (es gab ein 0:4 im Sachsenpokal gegen Lok Leipzig, aber da saß der des Vokuhilatums seinerseits dringend tatverdächtige Heiko Scholz auf der Bank und auf dem Platz stand eine bessere U19, die vielleicht auch nur eine U9 gewesen ist, Anm. d. Red.). Und nachdem es jetzt auch noch im Pokal gegen den SC Paderborn eine Runde weiter ging, lassen sich im oft manischen Dresden nicht nur ehrliche Zuversicht und glaubwürdige Zurückhaltung vernehmen. Man kann auch die Uhr ticken hören: Alles wie im Traum - wann wird es wieder richtig finster?

Nach mehr als 30 Jahren Deutschland, einig Fußballland ist das auch eine gute Nachricht. Niemand im Osten verliert noch die Besinnung, nur weil aktuell zwei nominell ostdeutsche Vereine in der ersten und weitere drei in der zweiten Liga spielen. Zu deutlich in Erinnerung sind die zahlreichen Abstürze aus der Vergangenheit, zu schwach und verhandelbar sind weiterhin viele Kader, Bilanzen und vor allem Strukturen bis hin in die Verbände, in denen gerne auch mal solche Spitzenkräfte in Führung auslaufen, die zuvor aus jeweils sehr nachvollziehbaren Gründen politische Ämter verloren hatten.

Und dann gibt es da noch alle möglichen Gefährder aus dem erweiterten Umfeld der Vereine selbst, die gelegentlich kaputtmachen, was sie selbst oft nicht mal aufgebaut haben. "Rostock, Dynamo, Samstagabend, Flutlicht" - würde einem das als Schulaufgabe vorgelegt mit der Bitte, ein Wort zu ergänzen, als erstes fiele einem die Vokabel "Einsatzleitung" ein.

Die bisherige Saison ist kurz, die noch verbleibende lang. Mehr lässt sich über den Ostfußball gerade vielleicht gar nicht sagen. Es gäbe Schlechteres.

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