Süddeutsche Zeitung

Robert Lewandowski:Alles auf die Neun

Lesezeit: 4 min

Gegen den FC Arsenal zeigt sich, wie wichtig Robert Lewandowski für den FC Bayern geworden ist. Vielleicht zu wichtig? Für den Stürmer gibt es keinen Ersatz.

Von Christof Kneer, München

Es gibt verschiedene Arten, als Fußballer auf dem Rasen herumzuliegen. Erfahrene Zuschauer haben über die Jahre auch ohne medizinische Vorkenntnisse ein gutes Gespür für die diversen Bodenlagen entwickelt, sie merken meist schnell, ob ein Spieler sich zum Beispiel wälzt und dreimal überschlägt, um eine Verwarnung für den Gegner zu provozieren. Oder ob er regungslos daliegt und gleich wieder aufsteht, weil es halt kurz wehgetan hat und der Schmerz gleich wieder nachlässt. Oder eben: ob er regungslos daliegt und nicht gleich wieder aufsteht. Weil etwas gerissen oder gebrochen ist, und weil der Spieler wochen- oder monatelang ausfallen wird.

Wer es mit dem FC Bayern hält, hat in den vergangenen paar Tagen gleich dreimal darauf hoffen müssen, dass er sich täuscht. Dreimal lag Robert Lewandowski am Boden, einmal in Ingolstadt nach einem Zusammenprall mit dem örtlichen Torwart Hansen, und zweimal am Mittwochabend, im Achtelfinal-Hinspiel gegen den FC Arsenal. Lewandowskis Bodenlagen waren nicht sauber zuzuordnen, sie sahen erst nach Steht-gleich-wieder-auf aus, aber zweimal hob er dann die Hand, was immer ein schlechtes Zeichen ist.

Länger als ein paar Tage ist Lewandowski nie ausgefallen

Meist heißt das: Doktor, bitte kommen! Und bring die Jungs mit der Trage mit!

Lewandowski, 28, ist ein recht kompletter Mittelstürmer. Er kann Tore schießen wie ein altmodischer Knipser und trotzdem zeitgenössischen Kombinationsfußball spielen, er passt durch schmale Korridore und wirft sich breitschultrig in Kopfballduelle, aber seine vorzüglichste Eigenschaft wird viel zu selten gewürdigt: Robert Lewandowski kann ganz ausgezeichnet gesund sein. Zwar findet man beim Blick in seine Krankenakte ein paar Sprunggelenksprobleme, ebenfalls dokumentiert sind ein Kiefer- und ein Nasenbeinbruch, außerdem eine Rippen- sowie eine Schultereckgelenkprellung. Aber länger als ein paar Tage ist Lewandowski nie ausgefallen; seit er in München ist, hat er siebenmal je ein Spiel verpasst. Länger als ein Spiel war er nie weg.

Fit sein: Das kann Lewandowski noch besser als Tore schießen. Und von all seinen Qualitäten ist das diejenige, die sie beim FC Bayern am meisten brauchen.

Welche dramaturgische Bedeutung Lewandowski für Bayerns Spiel inzwischen besitzt, war selten besser zu erkennen als an diesem 5:1 gegen den FC Arsenal. Die bloße Statistik weist Lewandowski keineswegs als Mann des Abends aus, er hat nicht die meisten Tore geschossen und auch nicht die meisten Vorlagen gegeben. Dennoch hat sich das Spiel der Bayern sehr verdächtig an seiner Formkurve orientiert: Die erste Halbzeit war nicht Lewandowskis Lieblingshalbzeit, er verstolperte einen Pass, setzte zwei Kopfbälle aus aussichtsreicher Lage übers Tor und verursachte einen Elfmeter; und so war die erste Hälfte auch nicht die Lieblingshälfte der Bayern, die einem eigentlich grotesk devoten Gegner einen 1:1-Pausenstand schenkten.

Nach der Pause flog Lewandowskis Kopfball dann nicht mehr über, sondern unter die Latte, zum 2:1. Und in jenen Strafraum, in dem ihm vor der Pause noch ein ungelenkes Elfmeter-Foul unterlaufen war, schickte er nun eine so gelenke Hackentrickvorlage, dass Thiago gar nicht anders konnte, als das 3:1 zu erzielen.

Lewandowski war drangeblieben, er hatte sich das Spiel untertan gemacht. Und nun zerzausten auch seine Mitspieler den Gegner, sie stürmten nun mit einiger Wonne durch jene Tür, die ihr Mittelstürmer ihnen geöffnet hatte.

Gibt es eine Planstelle für Müller? Oder ist er nur Back-up im Sturm?

Daraus nun zu folgern, dass die Münchner dramatisch von ihrem Mittelstürmer abhängig sind, wäre falsch und richtig. Falsch wäre es, weil die Bayern schon auch ein paar andere Asse ziehen können, um ein Spiel zu entscheiden; zur Not biegt halt dieser kleine Lahm ums Eck, der nach den Eindrücken vom Mittwochabend eine große Karriere vor sich haben könnte, wenn er sie nicht zufällig bald beenden würde. Andererseits: Sehr viele Spieler mit vertrauenswürdigem Tor-Instinkt haben die Münchner zurzeit nicht mehr im Kader, es gibt nicht viele, die verlässlich den Raum vor dem gegnerischen Tor besetzen.

Das ist eine der Sollbruchstellen im Kader: Lewandowski, nach aktuellen Erkenntnissen ein aus Fleisch, Blut und Kreuzbändern bestehender Mensch, sollte sich halt wirklich nicht verletzen. Sonst müsste ersatzweise ... ja, wer eigentlich?

Vielleicht war das also für die Bayern die beste Nachricht des Abends: dass Thomas Müller mal wieder ein Tor geschossen hat, auch wenn es nur das 5:1 war. Torjägerseelen nehmen auf solche Spitzfindigkeiten keine Rücksicht, ein Tor ist ein Tor ist ein Tor, und natürlich haben die Bayern ihrem Müller nach dem Spiel auch deshalb nur das Beste nachgesagt. Weil sie wissen, dass sie ihn brauchen. In seiner Eigenschaft als Müller, das auch, wobei Müllers Lieblingsplanstelle hinter Lewandowski vom inzwischen wieder grandiosen Thiago besetzt gehalten wird. Und so brauchen die Münchner ihren Müller eben auch: als zweiten Neuner - falls dieser immer fitte, stets gesunde Lewandowski vielleicht doch mal ...

Dieses Kaderrisiko sind die Bayern ja sehenden Auges eingegangen: Sie setzen alles auf die Neun. Sie haben nicht wirklich versucht, einen Back-up für Lewandowski zu engagieren - das hätte ja ein Spieler sein müssen, der halbwegs an Lewandowskis Niveau heranreicht und in großen Spielen bedenkenlos einzusetzen wäre; gleichzeitig müsste dieser Spieler bereit sein, im Fall von Lewandowskis Fitness (also praktisch immer) auf der Bank herumzulungern. So einen Spieler gibt es nicht - oder nur dann, wenn Claudio Pizarro nicht 38, sondern zufällig 34 Jahre alt wäre.

Am Samstag spielen die Bayern in Berlin, eine gute Gelegenheit, ein paar Sieger aus dem Arsenal-Spiel zu schonen. Carlo Ancelotti schont seine Spieler auch wirklich gern, nur Robert Lewandowski spielt eigentlich immer.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2017
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